Schriftenreihe Privat

Wednesday, January 10, 2007

Der indische Führerschein

Hans Müller

Am 17. April 1999 habe ich also mit Bravour die indi­sche Fahrprüfung bestanden. Nun galt es nur noch, den Führer­schein zu erhalten. Aber ich hatte ja noch meinen interna­tionalen Führer­schein, dessen Gültigkeits-dauer am 26. April ablief. Eine Verlängerung konnte ich nicht mehr be­antragen, da wir in der Schweiz keinen Wohnsitz mehr ha­ben. Nach der Fahrprüfung wurde mir beschie­den, dass die Ausstellung des Führerscheins eine Angele­genheit von we­nigen Ta­gen sei. Eigentlich hätte ich nach drei Jahren in Indien wissen müssen, dass in diesem Land die Bürokra­tie etwas komplizierter arbeitet als in der al­ten Heimat und der Ausdruck "in we­nigen Tagen" sehr dehnbar ist und auch "einige Monate" bedeuten kann.

Weil sich das für mich zuständige Strassen-verkehrsamt eine gute Autostunde entfernt in Tri­van­drum befindet, bat ich einen Bekann­ten, für den weiteren Ablauf besorgt zu sein. Ich übergab ihm also die gesamten Vorakten zur entspre­chenden Weiterleitung. "No Problem", war seine selbstver­ständliche Antwort, er habe einen Onkel im Transportministerium, der könne die Sache in zwei, ma­xi­mal drei Tagen er­ledigen. Aber wie meistens, wenn ein In­der "No Problem" sagt, begannen jetzt die Probleme. Of­fenbar hatte der Onkel vom Transportmi­nisterium nicht so ei­nen wichtigen Posten, wie mein Be­kannter mich glauben machen wollte. Dabei muss man wis­sen, dass hier jeder und überall einen bezie­hungsträchtigen Freund oder Onkel hat, welcher ihm hilft, ganz gleich welcher Art das Pro­blem auch sein mag. Auf alle Fälle wird ei­nem das immer glaub­haft versichert, stimmen tut es zwar meistens nicht. Aber "that's India"!

Der wichtige Onkel im Transportministerium liess mich also durch meinen Bekannten wis­sen, dass alles bestens vor sich gehe. Drei Tage später bekam ich den Bescheid, ich müsse nochmals persönlich beim Oberboss des Stra­ssen­verkehrsamtes vorsprechen. No problem, sagte ich mir und fuhr halt nochmals von Varkala nach Trivan­drum. Der Oberboss liess mich zuerst einmal eine halbe Stunde vor seinem Büro warten, womit er mir offenbar die Wichtig­keit seiner Funk­tion und auch seiner Persön­lichkeit unterstrei­chen wollte. Dann durfte ich eintreten. Der Ober­boss sass hinter seinem Schreibtisch und wühlte in irgendwelchen Papie­ren, die da haufenweise herumla­gen. Er trug eine hellbraune Polizeiuniform und auf den Ach­selpatten hatte er einen Stern. Verglichen mit den mir noch in ferner Er­innerung im Gedächt­nis haftenden Rangabzei­chen der schweizerischen Armeeoffiziere musste der Oberboss also ungefähr den Rang eines Ein­stern-Generals einnehmen. Er sah kurz zu mir auf, wühlte weiter wichtig in den Papieren, sah erstaunt nochmals auf und bemerkte vermutlich an meinem Ge­sichtsaus­druck, dass mich sein hoher Generals­rang nicht sonder­lich beeindruckte. Das bewog ihn, noch zwei zusätzliche Falten auf seine Stirn zu legen und mich mit dem grim­mig-wichti­gen Blick zu mustern, wie er nur jenen höhe­ren Beamten eigen ist, welche selbst am meisten von ih­rer Wichtigkeit überzeugt sind. Mit einer knappen Hand­bewegung wies er mich an, auf einem Stuhl vor sei­nem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann wühlte er weiter­hin in den Pa­pieren. Fast hatte ich ein wenig Mitleid mit ihm, weil ich vermutete, dass er gar nicht wusste, was er ei­gentlich in den Papieren suchte. Aber da rettete ihn ein Telefonanruf. Schnell riss er den Hörer an sein Ohr, wie wenn er Angst gehabt hätte, ich würde den Anruf entge­gennehmen. Und dann begann das Gespräch. Man muss nämlich wissen, dass die Inder gerne telefonieren, weil be­sonders im Süden das Telefonnetz erst im Aufbau ist. Und wenn sie dann schon einmal te­lefonieren, dann möglichst lange. Das tat auch der Oberboss, indem er während des Gesprä­ches immer wieder "hallohallo" sagte. Und minde­stens einhundert­dreiundsiebzig Mal ein hart artikuliertes "O" von sich gab, was in der Malayam-Sprache soviel wie "Ja" bedeutet. Zwi­schendurch erhellte und verdunkelte sich seine Miene, letzteres meistens während er mich musternd kurz betrachtete.

Das Telefon währte für meine Begriffe unendlich lange. Fast war ich versucht, seine "hallohallo's" und seine "O's" statistisch mit dem Jass-Strichcode zu erfassen. Aber da ich in der Auswertung eigentlich keinen Sinn sah, liess ich es bleiben. Nach Beendigung des Tele­fonats noch­mals ein kurzer wichtiger Blick in eines der vor ihm lie­genden Pa­piere und schon kam ich an die Reihe. Einen kurzen Au­genblick bemerkte ich etwas wie einen freundlichen Aus­druck in sei­nem finsteren Beamtenge­sicht. Vermutlich aber erschrak der Oberboss selber ob seiner mensch­lichen Re­gung und fragte knapp nach mei­nem Begehren. Ich machte ihm in kurzen Worten klar, dass ich derjenige sei, den er seinerzeit zur Ablegung der Fahrprüfung verdonnert hatte (obwohl, wie ich leider erst später feststellte, dies gegen die internationalen Abma­chungen war) und dass er dem Onkel vom Transportmi­nisterium habe ausrichten las­sen, ich müsse persönlich bei ihm er­scheinen. Kurz und prägnant, wie es sich für einen Be­amten der oberen Hierarchiestufe gebührt, sagte er: "Ja, ich kenne Sie. Papiere ?" Ich war dem Schicksal dankbar, dass ich in meinem Leben schon öfters mit Be­amten zu tun gehabt hatte. So verstand ich sein "Papiere?" auf Anhieb richtig und wies ihn höflich und mit einer entsprechenden Handbewegung auf die vor ihm lie­gen­den Papierhaufen darauf hin, dass sich die meine Per­son und die Fahrprüfung betreffenden Papiere bei ihm be­fin­den müssen. Und schon griff er in den Papierhaufen und nahm meine Unterlagen zur Hand. "Passport" war sein nächster Gesprächsbeitrag. Immer noch sehr höflich und mit einem verbindlichen Lächeln machte ich ihn darauf aufmerksam, dass sich eine notariell beglaubigte Kopie meines Passes bei den Unterlagen befinde. Und um ihm die Anstrengung einer weiteren Frage zu erspa­ren, fügte ich bei, dass auch eine notariell beglaubigte Niederlas­sungsbe­willigung dabei sei. Das hätte ich bes­ser nicht getan, zwei Fakten auf einmal sind auch für ei­nen indi­schen Einstern-General des Strassenverkehrs­amtes zu viel. Er machte ein beleidigtes Gesicht und fauchte mir zu: "Original Passport !" Und abermals tat er mir etwas leid, weil er vermutlich nicht damit gerech­net hatte, dass ich meinen Pass bei mir hatte und insge­heim hoffte, er könne mich nochmals nach Hause schic­ken, um den Pass zu holen. Leider musste ich ihn enttäu­schen. Ich öffnete meinen in seinen Augen sicher viel zu eleganten Akten­koffer, den er schon vorher wäh­rend sei­nes Telefonates neidisch betrachtet hatte, und ent­nahm den Pass, um ihn wie­derum mit einem freundlichen Lä­cheln dem Oberboss zu überreichen. Ich nehme an, dass es der erste Pass der Schweizerischen Eidgenossenschaft war, den er in den Händen hatte. Vor­sichtig und be­däch­tig begann er darin zu blättern, von vorne nach hinten, von hinten nach vorne und das glei­che noch dreimal. Beim fünften Durchlauf von vorne nach hinten hielt er auf Seite 3 inne, dort ist des Passinhabers Foto einge­klebt. Ein An­flug eines leichten Lächelns huschte sekun­den­schnell über sein Ge­sicht, wie wenn er sich denken würde: "Jetzt habe ich ihn erwischt". Ganz scharf be­trachtete er mein Foto auf Seite 3, blätterte in meinen vor ihm liegenden Unterlagen, wel­che ich mit 5 Passbildern einreichen musste, dann mu­sterte er mein Gesicht ebenso scharf, das ganze wieder­holte sich noch zweimal. Ich ahnte schlimmes und hörte ihn mit ei­nem Unterton, wel­cher nur Polizisten und Un­tersuchungs­beamten eigen ist, fast unhörbar sagen "Fotos nicht gleich". Insgeheim be­wunderte ich seine Fähigkeit, bei zwei Fotos des gleichen Mannes (eine ohne Bart, eine mit Bart) so schnell den Unterschied herausfinden zu können. Ich hatte diese Fä­higkeit eigentlich erst von einem Dreistern-Polizeigene­ral erwartet. Zum Glück für mich, zum Unglück für ihn war ich natür­lich auch auf diesen Fall vorbereitet. Und immer noch mit einem freundlichen Lächeln, aber doch mit etwas Schaden­freude in den Augen­winkeln antwor­tete ich ihm: "Yes Sir, Sie haben recht, die Fotos sind nicht gleich". Vermutlich brachte ich ihn etwas aus der Fassung, indem ich ihm ohne zu zö­gern recht gab, er hatte sicher mit mei­ner Resignation ge­rechnet. Mit lau­erndem Blick wartete er auf meine Recht­fertigung, wel­che sei­ner Ansicht nach eine billige Ausrede sein musste. "Sir," so fuhr ich weiter, indem ich ihm fest in die Augen sah, "Sir, wie Sie si­cher auf Seite 5 meines Passes leicht selber feststellen können, wurde dieser am 25. Juli 1988 in Bern von der Kantonalen Polizeidirektion ausgefer­tigt. Damals trug ich noch keinen Bart. Die Fo­tos, wel­che ich Ihnen mit meinen Dokumenten eingereicht habe, zeigen mich mit Bart, also genau so, wie Sie mich vor Ih­nen sehen. Den Bart habe ich erst in Indien wach­sen las­sen, weil meine Frau der Ansicht ist, der Bart passe gut zur indischen Beklei­dung, ich sähe so fast wie ein Guru aus". Beim Wort Guru zuckte er leicht zu­sam­men, fasste sich aber sofort wieder und sah diesmal mir einen Au­genblick fest in die Augen. Schon sah ich lang­sam meine Felle davon schwimmen, aber da nahm die Angelegen­heit plötzlich eine überra­schende Wendung. Er gab mir meinen Pass zurück, blät­terte kurz in meinen Unterla­gen und machte auf zwei Blät­tern mit dem Kugel­schreiber einen Haken. Und mit einer Handbe­wegung be­deutete er mir, die Unterhaltung sei be­endet, ich könne gehen! Und schon wandte er sich wie­der seinen Papieren zu und würdigte mich keines Blickes mehr. Ich erinnerte mich an meine gute Kinderstube und verliess den von seiner Macht überzeugten Mann mit einem "vielen Dank, Sir, ich wünsche Ihnen einen guten Tag". Und noch heute weiss ich nicht, ob ihn das Wort Guru so verunsichert hat, dass er sich bewusst wurde, schon viel zu viel Zeit mit dem komischen bärti­gen Weissen verschwendet zu haben. So fuhr ich wieder zurück an meinen Wohnort. Was ich mit Sicherheit wusste, war die Tatsache, fast ei­nen Tag mehr für fast nichts verbraten zu haben. Die Frage allerdings, ob und wie es nun mit meinem Führer­schein vor­wärts gehe, blieb vorläufig offen.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als auf den Einsatz meines Bekannten und seines Onkels im Transportmini­ste­rium zu hoffen. Und so hoffte ich weitere drei Tage vor mich hin, bis ich mich dann bei meinem Bekannten telefo­nisch nach dem Stand der Dinge erkundigte. Dieser reagierte sofort und erkundigte sich seinerseits bei sei­nem Onkel. Da dieser wegen der Heirat eines Ver­wand­ten einen Tag frei genommen hatte und am folgenden Tag ein von der Regierung kurzfristig anberaumter Frei­tag für alle Be­amten stattfand, vergingen weitere drei Tage, bis der Kon­takt zum Transportonkel hergestellt werden konnte. Doch die erhaltene Auskunft liess mich hoffen, noch vor Ablauf der Gültigkeitsdauer meines in­ternationalen Führer-scheines den indischen Führer­schein in den Händen zu haben.

Und genau wegen dem internationalen Führerschein schien es nochmals ein Problem zu geben. Ich hatte von diesem eine ebenfalls notariell beglaubigte Kopie zu den verlangten sonstigen Un­terlagen gegeben. So liess mich der Strassen­verkehrs-Einstern-General nochmals über den Transpor­tonkel zu sich bitten mit der Auflage, ihm das Original des internationalen Führerschei­nes vorzule­gen. Ich bat meinen Bekannten in Trivandrum telefo­nisch, diese Formalität doch für mich zu erledigen und sandte ihm durch einen Boten das verlangte Dokument. Mein Bekannter war gerne bereit, diesen Gang für mich zu tun, er werde seinen Transportonkel bitten, mit ihm zum Einstern-General zu kommen. So werde die Sache eine reine Formalität. Wie mir berichtet wurde, machten die beiden beim Einstern-General einen Termin aus und fuhren am Samstag recht­zeitig zum Strassenverkehrsamt. Dort wurde ihnen be­schieden, der General sei grad vor ei­nigen Minuten abge­fahren, er müsse bei der Abnahme der praktischen Fahr­prüfungen dabei sein. So wartete ich halt bis am Montag, aber dann hatte mein Bekannter ge­schäftlich in Quilon zu tun. Am Dienstagabend dann der erlösende Telefonanruf, die Besprechung beim General sei gut ver­laufen, alles sei in bester Ordnung. Es wäre da nur noch eine kleine Differenz zwischen den von mir aufgeführten und den im internatio­nalen Führerschein enthaltenen Fahrzeug-kategorien. Am besten wäre es, wenn ich nochmals persönlich beim Gene­ral vorsprechen könnte. Glücklicher­weise trägt man hier in Kerala keinen Hut, sonst wäre der mir vor Wut hochgegan­gen während ich meinem Bekannten am Telefon ein fröhli­ches "No problem" zusäuselte!

Um keine Zeit zu verlieren setzte ich mich am Mittwoch­morgen gleich ins Auto, um mich mög­lichst frühzeitig in die Warteschlange vor dem Büro des Generals einreihen zu können. Dass ich keinen in Indien gültigen Führer­schein mehr besass, war mir eigentlich egal. Wäre ich in eine Po­lizeikontrolle gekommen, hätte ich diese auf die beim Ge­neral befindlichen Unterlagen verwie­sen. Und wenn einer hier glaubhaft machen kann, den Oberboss persönlich zu kennen, nimmt jeder Polizeimann sofort stramm Haltung an und lässt einem zackig salutierend weiterfahren. Am Eingang zum Strassenverkehrsamt wartete mein Bekannter, um mich zum General zu be­gleiten. Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch den Transportonkel kennen, welcher meine nun auch äu­sser­lich zur Schau getragene Skepsis im Brust­ton der Ueber­zeugung zu zerstreuen suchte, indem er mir erklärte, wir würden vom General erwartet, er habe diesem meinen Besuch persönlich angekündigt.

Ob diese Aussage stimmte oder nur reine Angabe war, lässt sich nicht mehr feststellen. Tatsache war, dass der General gar nicht ins Büro kam, weil er an einem Emp­fang eines Ministers teilneh­men musste. Als wir nach ei­ner Stunde Wartezeit in der Schlange vor dem Büro des Generals durch einen Beamten diesen Bescheid erhielten, rief ich ei­nige ganz wüste Worte in Schweizer­deutsch aus, bemühte mich aber, dabei ein fröhliches Gesicht zu machen. Ich musste dies tun, weil man in Indien das Ge­sicht verliert, wenn man seine Wut offen zeigt. Und ich brauchte das Ge­sicht ja noch, nicht zuletzt auch für die Vorprache beim General am Nachmittag des nächsten Tages. Eine Fotogra­fie der verdutzten Gesichter meines Bekannten und seines "einflussreichen" Transportonkels, als ich mich nach mei­ner schweizer-deutschen Tirade wortlos umdrehte und, sie keines Blickes mehr würdi­gend, zu meinem Auto ging und ziemlich rasant davon­fuhr, diese Fo­tografie hätte an einem Wettbewerb mit Si­cherheit den ersten Preis gewinnen kön­nen.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als wieder nach Hause zu fahren, um mich am anderen Tag nochmals nach Tri­vandrum zu bemühen. Dabei ist zu erwähnen, dass jeder Weg etwa eineinhalb Stunden Fahrt bedeutet. Als mein Be­kannter am Abend nochmals anrief sagte ich ihm mit aller Deutlichkeit, dass ich die guten Dienste seines Onkels als nicht so gut befinde und eigentlich eher darauf verzichten möchte. Das hat insofern positiv ge­wirkt, als ich am ande­ren Tag vor dem Büro des Generals von einem seiner Un­tergebenen empfangen und mir sogar eine Sitzgelegenheit an­ge­boten wurde. Wie sich herausstellte, war eine Journalistin beim General zu Besuch. Sie sei sehr hübsch, wurde mir im Vertrauen ins Ohr geflüstert. Dies führte bei mir allerdings zu ganz fal­schen Annah­men, als bereits wieder über eine Stunde verstrichen war und sich eine immer grö­sser wer­dende Zahl von Warten­den einfand, welche zum General vorgeladen waren. Und dann hat sich der Einfluss des Transportonkels doch noch offenbart, indem mich plötz­lich ein Beam­ter bat, mit ihm zu kommen. Für mich war es wie ein Spiessrutenlaufen, an all den Wartenden vorbei ins Büro des Generals be­gleitet zu werden.

Da sass also die hübsche Journalistin gegenüber dem sich scheinbar in aufgeräumter Laune be­findlichen und mir jo­vial entgegenlächelnden Einstern-General. Vermutlich hätte mir dieser am liebsten die Hand zum Gruss hinge­halten, was hier ja nicht üblich ist. Dieser Gauner hat vor der Journalistin eine bühnenreife Schau abgezogen, ver­mutlich um zu zeigen, wie volkstümlich er mit dem Pu­bli­kum verkehrt. Nachträglich habe ich erfahren, dass nach meinem Eintritt in des Gene­rals Büro alle anderen Leute, welche zum Teil schon mehr als zwei Stunden gewartet hatten, wie­der nach Hause geschickt wurden! Aber davon hat die Journalistin selbstverstän-dlich nichts ge­merkt. Uebrigens, so hübsch war die gar nicht, aber über den Ge­schmack lässt sich bekanntlich streiten. Während die Jour­nalistin eifrig Notizen machte, wollte der General meinen schweizeri­schen Führer-ausweis se­hen, angeblich zur Kon­trolle der Fahrzeug-kategorien, für welche ich die Prüfungen abgelegt hatte. Dabei stellte ich mit grossem Erstaunen fest, dass der Mann sogar ganze Sätze bilden konnte, ganz im Gegensatz zu meinen vori­gen Besuchen. Der General be­sich­tigte meinen Führeraus­weis auch wieder von allen Sei­ten. Er konnte es jedoch diesmal verknei­fen, auf das unter­schiedliche Foto (ohne Bart) hinzuweisen. Die Aussage wegen des Gurus lässt grüssen!

Doch dann kam der alte Haudegen wieder zum Vor­schein; er musste ja der Dame auch beweisen, wer hier der Herr im Hause ist. Mit strenger Miene fragte er mich nach der Gül­tigkeitsdauer mei­nes schweizerischen Füh­rerausweises. Ich erklärte ihm, dass der Ausweis unbe­grenzt gültig sei. Da wollte er wissen, wo dies auf dem Ausweis stehe. Des lan­gen und breiten versuchte ich, ihm klar zu machen, dass es in der Schweiz nicht üblich sei, auf dem Ausweis zu ver­merken, dieser sei un­begrenzt gültig. Man zahle in der Schweiz eine einmalige Gebühr für den Führerausweis, weil man festgestellt habe, dass die administrativen Umtriebe bei einer Kontrolle der Gültigkeitsdauer viel mehr kosten, als die Verlänge­rungsgebühren einbringen. Als er bei dieser endlos wer­denden Dis­kussion die Journalistin bei meinen Ar­gu­menten zustimmend nicken sah, verliess der General die­ses Thema. Dafür liess er meinen Blutdruck und meine Pulsfrequenz in die Höhe schnellen, als er bean­standete, der schweizerische Führerschein sei nicht in englischer Sprache abgefasst. Ich entgegnete, dass das englische in der Schweiz keine Amtssprache sei. Wenn er sich mit der deut­schen, französischen und italienischen Fassung nicht zu­frieden geben könne, solle er doch den englischen Text auf dem internationalen Führerschein le­sen. Nun sah er seine Profilierung gegenüber der Journa­listin in Gefahr und brach auch diese Diskussion ab mit der Bemerkung, ich solle ihm eine englische Ueberset­zung des schweize­rischen Führerausweises beibringen. Da ich sofort sagte, dies sei für mich kein Problem, liess er mich merken, dass die Au­dienz beendigt sei. Ich ver­abschiedete mich mit zusammengelegten Handflächen und einer klei­nen Verbeugung, der hier üblichen Grussform, von der Journalistin. Dem Ge­neral gegenüber verweigerte ich diese Höflichkeit, in­dem ich ihm sagte, ich hoffe sehr, mich in dieser Angelegen­heit nicht noch einmal zu ihm nach Trivandrum bemühen zu müssen.

Wer jetzt meint, ich hätte nach dieser Unterredung end­lich den indischen Führerschein erhalten, befindet sich in ei­nem grossen Irrtum. Mein Bekannter in Trivandrum hatte halt doch ein schlechtes Gewissen, nachdem ich ihm klipp und klar gesagt hatte, seine sogenannten guten Be­ziehun­gen hätten sich als Flop und Schaumschlägerei erwiesen. So versuchte er krampfhaft, sich bei mir wie­der in ein besseres Licht zu bringen. Ich rapportierte ihm kurz die Bespre­chung mit dem General und er anerbot sich spontan, für die verlangte Uebersetzung besorgt zu sein. Er kenne einen Professor im Ruhestand, welcher diese Uebersetzung ma­chen könne, dies sei absolut kein Problem. Als ich das "kein Problem" hörte, ahnte ich schon das nächste Unheil auf mich zukommen. Zwei Tage später rief mich der Be­kannte an und sagte, er habe nun die Uebersetzung und werde sie morgen dem Gene­ral bringen. Das hat er in der Folge dann auch getan. Fragt sich jetzt nur, mit welchem Resultat. Die Ueberset­zung war absolut professionell und in allen Teilen kor­rekt. Aber was fand dieser Generalsarsch zu beanstan­den? Er könne diese Arbeit nicht an­nehmen, weil sie nicht von einem vereidigten Uebersetzer gemacht und von der Universität be­glaubigt sei ....... Als ich diesen Bescheid erhielt, glaubte ich das hinterhältige Grinsen des Gene­rals zu sehen und seine Freude darüber, mir noch einmal eines auswischen zu können. Sein Glück war es, dass ich diesen Bescheid nicht von ihm selber er­hielt; ich hätte ihm höchstwahr­scheinlich meinen ganzen Wortschatz an Schimpfworten in schweizerdeutsch, hochdeutsch und englisch an den Kopf geschmissen. Mein Bekannter ver­suchte, mich zu beruhigen und ver­sprach, die vom General verlangte Beglaubigung zu be­schaffen. Und da wieder ein­mal ein Wochenende bevor­stand, ging es halt weitere drei Tage, bis die von einem vereidigten Uebersetzer und durch die Universität be­glaubigte Uebersetzung vorlag und glei­chentags noch dem General zu den Ak­ten gegeben werden konnte. Da­mit war das Kapitel Einstern-General-Oberboss für mich abge­schlossen.

Aber den Führerschein hatte ich immer noch nicht. Des­sen Ausstellung war nun Sache des Trans-portministeri­ums. Und da ich durch meinen Bekannten dort ja einen guten Onkel hatte, konnte eigentlich nichts mehr schief­gehen. Ich erhielt auch die Bestätigung, dass vom Stra­ssen­ver­kehrsamt die Ausgabe des Führerscheins an mich freigege­ben wurde. Es würde also nur noch eine Sache von wenigen Tagen sein....... diesen Spruch meinte ich auch schon gehört zu haben und meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Und weil ich ja nicht unhöflich sein wollte, rief ich ganz entgegen meiner sonstigen Gewohn­heit nicht schon am nächsten, sondern erst drei Tage später meinen Bekannten an. Ich fragte ihn nach seinem Befinden und wie es seiner Familie gehe, wie das Ge­schäft laufe und klagte über das wechselhafte Wetter. Und so ganz nebenbei fragte ich nach dem Verbleib mei­nes Führerscheines. Mei­nem Bekannten ging es ganz gut, seine Familie sei gesund und munter, das Geschäft laufe eher etwas flau, woran halt auch das für diese Jahreszeit sehr ungewöhnliche instabile Wetter schuld sei. Ja, und mein Führerschein sei bereits fertig gedruckt. "Oh wie schön", entfuhr es mir, "dann komme ich den Führer­schein morgen Vormittag bei dir abholen." Nach ei­nem kurzen Räuspern erfuhr ich, dass es da noch ein ganz kleines Problem gäbe, eigentlich fast nicht der Rede wert. Ich konnte nicht widerstehen, meinen Bekannten dazu zu bringen, mir das fast nicht der Rede werte Pro­blem zu schildern. "Weisst du", versuchte er mir in beru­higendem Tonfall beizubringen, "weisst du, diese Füh­rerausweise müssen plastifiziert werden und die Firma, welche das macht, hat kleine tech­nische Probleme mit der Plastifiziermaschine". Aber du kannst beru­higt sein, das dort sind absolute Profis, ich habe dort einen Freund, der ist Ingenieur und der kann ......." Ich spürte den Adrenalinstoss durch meine Adern fahren und stöhnte meinem Bekannten ins Telefon: "sag deinem Freund, er kann auch mich mal am A....bend besuchen!" Dann schmiss ich den Telefonhörer auf die Gabel, ob­wohl ja eigentlich weder der Hörer noch die Gabel etwas dafür konnten. Und wieder hörte ich mich wüste Worte von mir geben, bis meine liebe Frau ins Zimmer kam, mich mit besorgter Mine an­schaute und mich fragte, ob es mir nicht gut sei, ich hätte ein so wachsiges Gesicht, fast, wie wenn ich eine Pla­sticfolie verschluckt hätte....................

Zur Ehrenrettung meines Bekannten in Trivandrum sei festgehalten: er hatte recht, sein Freund in der Plastifi­zier­fabrik war ein echter Profi. Er brachte die Maschine nach zwei Tagen wieder zum laufen. Und am 10. Mai er­reichte mich die frohe Botschaft, dass alle, welche die Fahrprü­fung vor dem 15. April absolviert hatten, morgen den Führer­schein abholen konnten. "Hallelluja" entfuhr es mir und dann kam mir in den Sinn, dass ich ja die Prü­fung am 17. April abgelegt und erfolgreich bestanden hatte. Nur auf­grund der guten Beziehungen meines Be­kannten zum On­kel im Transportministerium durfte ich dann am 18. Mai 1999 meinen in Kreditkartengrösse kor­rekt gedruckten, mit meinem Foto (mit Bart) versehenen und blasenfrei plastifi­zierten indischen Füh­rerschein ent­gegen nehmen.

Mein Leben hat sich seither wieder mehr oder weniger normalisiert, mein Blutdruck und meine Pulsfrequenz ebenso. Hin und wieder gibt es ein Problem - glückli­cher­weise aber nicht mehr mit meinem Führer-schein. Dieses wird erst wieder kommen, wenn ich ihn nach fünf Jahren erneuern muss und ich hoffe, auch dann wieder einen hilfsbereiten Bekannten oder Freund zu haben, für den das alles "No Problem" ist.

Varkala, 18. Mai 1999

Die Verlängerung

oder

Der hilfsbereite Freund

Es ist kaum zu glauben, wie schnell auch hier in Indien 5 Jahre vorbeigehen. Inzwischen hatte ich natürlich viel gelernt in der Lösung von Problemen im Umgang mit Beamten und Behörden. Vor allem wusste ich jetzt, was ich beim letzten Mal falsch gemacht hatte. Mein unverzeihlicher Fehler war, dass ich bei der Audienz beim Einsterngeneral in meinen Pass nicht einige Hundertrupienscheine eingelegt hatte; ganz diskret natürlich. Und beim Durchblättern des Passes hätte ich sehr interessiert durch das Fenster dem emsigen Treiben draussen zusehen müssen, damit der General die so zufällig zwischen den Seiten 14 und 15 liegenden Scheinchen mit geübten Fingern hätte herausnehmen und in seiner Tasche verschwinden lassen können. Selbstverständlich auch dies mit absoluter Diskretion. Na ja, man lernt eben nie aus, selbst wenn man zu Aktivitäten gezwungen wird, die einem total zuwider sind. Aber anders geht es in Indien nicht, die Korruption ist hier schon lange salonfähig geworden und ausser mir scheint sich deswegen niemand aufzuregen.

Trotzdem sah ich der Verlängerung meines Führerausweises mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich vertraute mich diesmal einem wirklich guten Freund an. Er hatte meine frühere Leidensgeschichte in dieser Sache auch mitbekommen und als ich ihn wegen der Verlängerung um Rat fragte, war er so rücksichtsvoll, nicht einfach No problem zu sagen und auch nicht auf seine Verbindungen zu den einschlägigen Amtsstellen und Onkels hinzuweisen, sondern rasch und unbürokratisch zu handeln. Mit anderen Worten, den bürokratischen Krimskrams inklusive das Einfügen von einigen Hundertrupies-Scheinchen selbst in die Hand zu nehmen und mich diskret im Hintergrund zu lassen. Das einzige, was ich selber tun musste, war der Besuch bei der mir inzwischen auch gut bekannten Augenärztin. Diese musste auf dem dafür bestimmten amtlichen Formular meine Sehtüchtigkeit bestätigen und mit ihrem ebenso amtlichen Stempel besiegeln. Weil wir uns ja kannten, füllte sie das Formular während eines belanglosen Gespräches aus und setzte in den dafür bestimmten Linien die Sehschärfen meiner Augen ein. Ob die Zahlen auch stimmten, weiss ich nicht, jedenfalls sah sie keine Notwendigkeit, mich an das comuterisierte Messgerat zu bemühen und so meine Dioptrien zu messen. Hauptsache war, dass das Formular ausgefüllt, unterschrieben und mit ihrem amtsärztlichen Stempel versehen war. Gekostet hat es nichts – ein Hoch auf die persönlichen Beziehungen!

Dieses Formular, begleitet mit notariell beglaubigter Passkopie und Niederlassungsbewilligung sowie dem alten Führerschein übergab ich meinem Freund, welcher alles übrige für mich erledigte. Die Gebühren übergab ich ihm in einer runden Summe, worin auch die nötigen Schmiergelder für die an der weiteren Behandlung meines Verlängerungsgesuches beteiligten Personen und Beamten enthalten waren.

So fuhr ich nun drei Wochen lang ohne Führerschein durch die Gegend. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen, obwohl ich den alten Führerschein während den ganzen fünf Jahren höchstens zweimal vorweisen musste. Zudem befand ich mich mental in dauernder Bereitschaft, auf Anforderung hin bei irgend so einem Polizeiheini erscheinen zu müssen.

Doch nichts dergleichen geschah. Mein Freund telefonierte mir, ich könne den Führerschein bei ihm abholen. Argwöhnisch fragte ich ihn, ob da irgend noch ein Problem sei. Er lachte und versicherte mir, es sei wirklich kein Problem vorhanden. Also fuhr ich flugs zu ihm und er übergab mir den neuen Führerschein. Leider nicht mehr in Kreditkartenform sondern als kleines Büchlein, was ich als echten technischen Rückschritt empfand. Ausser meinem Foto (immer noch mit Bart) waren da auf mehreren Seiten handschriftliche Eintragungen, welche eher als Gekritzel taxiert werden müssen. Zudem hatte es auch drei amtliche Stempel und zwei mit rotem Kugelschreiber eingetragene absolut unleserliche Unterschriften. Die Gültigkeitsdauer meines Führerausweises war leider nicht für weitere fünf, sondern nur noch um drei Jahre verlängert worden. Dies sei wegen meines Alters, denn für über 70ig Jährige werde der Ausweis nur für drei Jahre verlängert.

Soweit, so gut. Dann werde ich halt im Frühjahr 2007 wieder eine Verlängerung beantragen müssen. Bis dahin kann ich nur hoffen, dass der neue Führerausweis auch rechtens ist. Und dass auch in drei Jahren wieder jemand da ist, der weiss, wann, wieviel und wer mit einem Trinkgeld geschmiert werden muss. Selbst wenn mir das halt total gegen den Strich läuft.

Varkala, 27. Mai 2004

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