Der indische Führerschein
Hans Müller
Am 17. April 1999 habe ich also mit Bravour die indische Fahrprüfung bestanden. Nun galt es nur noch, den Führerschein zu erhalten. Aber ich hatte ja noch meinen internationalen Führerschein, dessen Gültigkeits-dauer am 26. April ablief. Eine Verlängerung konnte ich nicht mehr beantragen, da wir in der Schweiz keinen Wohnsitz mehr haben. Nach der Fahrprüfung wurde mir beschieden, dass die Ausstellung des Führerscheins eine Angelegenheit von wenigen Tagen sei. Eigentlich hätte ich nach drei Jahren in Indien wissen müssen, dass in diesem Land die Bürokratie etwas komplizierter arbeitet als in der alten Heimat und der Ausdruck "in wenigen Tagen" sehr dehnbar ist und auch "einige Monate" bedeuten kann.
Weil sich das für mich zuständige Strassen-verkehrsamt eine gute Autostunde entfernt in Trivandrum befindet, bat ich einen Bekannten, für den weiteren Ablauf besorgt zu sein. Ich übergab ihm also die gesamten Vorakten zur entsprechenden Weiterleitung. "No Problem", war seine selbstverständliche Antwort, er habe einen Onkel im Transportministerium, der könne die Sache in zwei, maximal drei Tagen erledigen. Aber wie meistens, wenn ein Inder "No Problem" sagt, begannen jetzt die Probleme. Offenbar hatte der Onkel vom Transportministerium nicht so einen wichtigen Posten, wie mein Bekannter mich glauben machen wollte. Dabei muss man wissen, dass hier jeder und überall einen beziehungsträchtigen Freund oder Onkel hat, welcher ihm hilft, ganz gleich welcher Art das Problem auch sein mag. Auf alle Fälle wird einem das immer glaubhaft versichert, stimmen tut es zwar meistens nicht. Aber "that's India"!
Der wichtige Onkel im Transportministerium liess mich also durch meinen Bekannten wissen, dass alles bestens vor sich gehe. Drei Tage später bekam ich den Bescheid, ich müsse nochmals persönlich beim Oberboss des Strassenverkehrsamtes vorsprechen. No problem, sagte ich mir und fuhr halt nochmals von Varkala nach Trivandrum. Der Oberboss liess mich zuerst einmal eine halbe Stunde vor seinem Büro warten, womit er mir offenbar die Wichtigkeit seiner Funktion und auch seiner Persönlichkeit unterstreichen wollte. Dann durfte ich eintreten. Der Oberboss sass hinter seinem Schreibtisch und wühlte in irgendwelchen Papieren, die da haufenweise herumlagen. Er trug eine hellbraune Polizeiuniform und auf den Achselpatten hatte er einen Stern. Verglichen mit den mir noch in ferner Erinnerung im Gedächtnis haftenden Rangabzeichen der schweizerischen Armeeoffiziere musste der Oberboss also ungefähr den Rang eines Einstern-Generals einnehmen. Er sah kurz zu mir auf, wühlte weiter wichtig in den Papieren, sah erstaunt nochmals auf und bemerkte vermutlich an meinem Gesichtsausdruck, dass mich sein hoher Generalsrang nicht sonderlich beeindruckte. Das bewog ihn, noch zwei zusätzliche Falten auf seine Stirn zu legen und mich mit dem grimmig-wichtigen Blick zu mustern, wie er nur jenen höheren Beamten eigen ist, welche selbst am meisten von ihrer Wichtigkeit überzeugt sind. Mit einer knappen Handbewegung wies er mich an, auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann wühlte er weiterhin in den Papieren. Fast hatte ich ein wenig Mitleid mit ihm, weil ich vermutete, dass er gar nicht wusste, was er eigentlich in den Papieren suchte. Aber da rettete ihn ein Telefonanruf. Schnell riss er den Hörer an sein Ohr, wie wenn er Angst gehabt hätte, ich würde den Anruf entgegennehmen. Und dann begann das Gespräch. Man muss nämlich wissen, dass die Inder gerne telefonieren, weil besonders im Süden das Telefonnetz erst im Aufbau ist. Und wenn sie dann schon einmal telefonieren, dann möglichst lange. Das tat auch der Oberboss, indem er während des Gespräches immer wieder "hallohallo" sagte. Und mindestens einhundertdreiundsiebzig Mal ein hart artikuliertes "O" von sich gab, was in der Malayam-Sprache soviel wie "Ja" bedeutet. Zwischendurch erhellte und verdunkelte sich seine Miene, letzteres meistens während er mich musternd kurz betrachtete.
Das Telefon währte für meine Begriffe unendlich lange. Fast war ich versucht, seine "hallohallo's" und seine "O's" statistisch mit dem Jass-Strichcode zu erfassen. Aber da ich in der Auswertung eigentlich keinen Sinn sah, liess ich es bleiben. Nach Beendigung des Telefonats nochmals ein kurzer wichtiger Blick in eines der vor ihm liegenden Papiere und schon kam ich an die Reihe. Einen kurzen Augenblick bemerkte ich etwas wie einen freundlichen Ausdruck in seinem finsteren Beamtengesicht. Vermutlich aber erschrak der Oberboss selber ob seiner menschlichen Regung und fragte knapp nach meinem Begehren. Ich machte ihm in kurzen Worten klar, dass ich derjenige sei, den er seinerzeit zur Ablegung der Fahrprüfung verdonnert hatte (obwohl, wie ich leider erst später feststellte, dies gegen die internationalen Abmachungen war) und dass er dem Onkel vom Transportministerium habe ausrichten lassen, ich müsse persönlich bei ihm erscheinen. Kurz und prägnant, wie es sich für einen Beamten der oberen Hierarchiestufe gebührt, sagte er: "Ja, ich kenne Sie. Papiere ?" Ich war dem Schicksal dankbar, dass ich in meinem Leben schon öfters mit Beamten zu tun gehabt hatte. So verstand ich sein "Papiere?" auf Anhieb richtig und wies ihn höflich und mit einer entsprechenden Handbewegung auf die vor ihm liegenden Papierhaufen darauf hin, dass sich die meine Person und die Fahrprüfung betreffenden Papiere bei ihm befinden müssen. Und schon griff er in den Papierhaufen und nahm meine Unterlagen zur Hand. "Passport" war sein nächster Gesprächsbeitrag. Immer noch sehr höflich und mit einem verbindlichen Lächeln machte ich ihn darauf aufmerksam, dass sich eine notariell beglaubigte Kopie meines Passes bei den Unterlagen befinde. Und um ihm die Anstrengung einer weiteren Frage zu ersparen, fügte ich bei, dass auch eine notariell beglaubigte Niederlassungsbewilligung dabei sei. Das hätte ich besser nicht getan, zwei Fakten auf einmal sind auch für einen indischen Einstern-General des Strassenverkehrsamtes zu viel. Er machte ein beleidigtes Gesicht und fauchte mir zu: "Original Passport !" Und abermals tat er mir etwas leid, weil er vermutlich nicht damit gerechnet hatte, dass ich meinen Pass bei mir hatte und insgeheim hoffte, er könne mich nochmals nach Hause schicken, um den Pass zu holen. Leider musste ich ihn enttäuschen. Ich öffnete meinen in seinen Augen sicher viel zu eleganten Aktenkoffer, den er schon vorher während seines Telefonates neidisch betrachtet hatte, und entnahm den Pass, um ihn wiederum mit einem freundlichen Lächeln dem Oberboss zu überreichen. Ich nehme an, dass es der erste Pass der Schweizerischen Eidgenossenschaft war, den er in den Händen hatte. Vorsichtig und bedächtig begann er darin zu blättern, von vorne nach hinten, von hinten nach vorne und das gleiche noch dreimal. Beim fünften Durchlauf von vorne nach hinten hielt er auf Seite 3 inne, dort ist des Passinhabers Foto eingeklebt. Ein Anflug eines leichten Lächelns huschte sekundenschnell über sein Gesicht, wie wenn er sich denken würde: "Jetzt habe ich ihn erwischt". Ganz scharf betrachtete er mein Foto auf Seite 3, blätterte in meinen vor ihm liegenden Unterlagen, welche ich mit 5 Passbildern einreichen musste, dann musterte er mein Gesicht ebenso scharf, das ganze wiederholte sich noch zweimal. Ich ahnte schlimmes und hörte ihn mit einem Unterton, welcher nur Polizisten und Untersuchungsbeamten eigen ist, fast unhörbar sagen "Fotos nicht gleich". Insgeheim bewunderte ich seine Fähigkeit, bei zwei Fotos des gleichen Mannes (eine ohne Bart, eine mit Bart) so schnell den Unterschied herausfinden zu können. Ich hatte diese Fähigkeit eigentlich erst von einem Dreistern-Polizeigeneral erwartet. Zum Glück für mich, zum Unglück für ihn war ich natürlich auch auf diesen Fall vorbereitet. Und immer noch mit einem freundlichen Lächeln, aber doch mit etwas Schadenfreude in den Augenwinkeln antwortete ich ihm: "Yes Sir, Sie haben recht, die Fotos sind nicht gleich". Vermutlich brachte ich ihn etwas aus der Fassung, indem ich ihm ohne zu zögern recht gab, er hatte sicher mit meiner Resignation gerechnet. Mit lauerndem Blick wartete er auf meine Rechtfertigung, welche seiner Ansicht nach eine billige Ausrede sein musste. "Sir," so fuhr ich weiter, indem ich ihm fest in die Augen sah, "Sir, wie Sie sicher auf Seite 5 meines Passes leicht selber feststellen können, wurde dieser am 25. Juli 1988 in Bern von der Kantonalen Polizeidirektion ausgefertigt. Damals trug ich noch keinen Bart. Die Fotos, welche ich Ihnen mit meinen Dokumenten eingereicht habe, zeigen mich mit Bart, also genau so, wie Sie mich vor Ihnen sehen. Den Bart habe ich erst in Indien wachsen lassen, weil meine Frau der Ansicht ist, der Bart passe gut zur indischen Bekleidung, ich sähe so fast wie ein Guru aus". Beim Wort Guru zuckte er leicht zusammen, fasste sich aber sofort wieder und sah diesmal mir einen Augenblick fest in die Augen. Schon sah ich langsam meine Felle davon schwimmen, aber da nahm die Angelegenheit plötzlich eine überraschende Wendung. Er gab mir meinen Pass zurück, blätterte kurz in meinen Unterlagen und machte auf zwei Blättern mit dem Kugelschreiber einen Haken. Und mit einer Handbewegung bedeutete er mir, die Unterhaltung sei beendet, ich könne gehen! Und schon wandte er sich wieder seinen Papieren zu und würdigte mich keines Blickes mehr. Ich erinnerte mich an meine gute Kinderstube und verliess den von seiner Macht überzeugten Mann mit einem "vielen Dank, Sir, ich wünsche Ihnen einen guten Tag". Und noch heute weiss ich nicht, ob ihn das Wort Guru so verunsichert hat, dass er sich bewusst wurde, schon viel zu viel Zeit mit dem komischen bärtigen Weissen verschwendet zu haben. So fuhr ich wieder zurück an meinen Wohnort. Was ich mit Sicherheit wusste, war die Tatsache, fast einen Tag mehr für fast nichts verbraten zu haben. Die Frage allerdings, ob und wie es nun mit meinem Führerschein vorwärts gehe, blieb vorläufig offen.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als auf den Einsatz meines Bekannten und seines Onkels im Transportministerium zu hoffen. Und so hoffte ich weitere drei Tage vor mich hin, bis ich mich dann bei meinem Bekannten telefonisch nach dem Stand der Dinge erkundigte. Dieser reagierte sofort und erkundigte sich seinerseits bei seinem Onkel. Da dieser wegen der Heirat eines Verwandten einen Tag frei genommen hatte und am folgenden Tag ein von der Regierung kurzfristig anberaumter Freitag für alle Beamten stattfand, vergingen weitere drei Tage, bis der Kontakt zum Transportonkel hergestellt werden konnte. Doch die erhaltene Auskunft liess mich hoffen, noch vor Ablauf der Gültigkeitsdauer meines internationalen Führer-scheines den indischen Führerschein in den Händen zu haben.
Und genau wegen dem internationalen Führerschein schien es nochmals ein Problem zu geben. Ich hatte von diesem eine ebenfalls notariell beglaubigte Kopie zu den verlangten sonstigen Unterlagen gegeben. So liess mich der Strassenverkehrs-Einstern-General nochmals über den Transportonkel zu sich bitten mit der Auflage, ihm das Original des internationalen Führerscheines vorzulegen. Ich bat meinen Bekannten in Trivandrum telefonisch, diese Formalität doch für mich zu erledigen und sandte ihm durch einen Boten das verlangte Dokument. Mein Bekannter war gerne bereit, diesen Gang für mich zu tun, er werde seinen Transportonkel bitten, mit ihm zum Einstern-General zu kommen. So werde die Sache eine reine Formalität. Wie mir berichtet wurde, machten die beiden beim Einstern-General einen Termin aus und fuhren am Samstag rechtzeitig zum Strassenverkehrsamt. Dort wurde ihnen beschieden, der General sei grad vor einigen Minuten abgefahren, er müsse bei der Abnahme der praktischen Fahrprüfungen dabei sein. So wartete ich halt bis am Montag, aber dann hatte mein Bekannter geschäftlich in Quilon zu tun. Am Dienstagabend dann der erlösende Telefonanruf, die Besprechung beim General sei gut verlaufen, alles sei in bester Ordnung. Es wäre da nur noch eine kleine Differenz zwischen den von mir aufgeführten und den im internationalen Führerschein enthaltenen Fahrzeug-kategorien. Am besten wäre es, wenn ich nochmals persönlich beim General vorsprechen könnte. Glücklicherweise trägt man hier in Kerala keinen Hut, sonst wäre der mir vor Wut hochgegangen während ich meinem Bekannten am Telefon ein fröhliches "No problem" zusäuselte!
Um keine Zeit zu verlieren setzte ich mich am Mittwochmorgen gleich ins Auto, um mich möglichst frühzeitig in die Warteschlange vor dem Büro des Generals einreihen zu können. Dass ich keinen in Indien gültigen Führerschein mehr besass, war mir eigentlich egal. Wäre ich in eine Polizeikontrolle gekommen, hätte ich diese auf die beim General befindlichen Unterlagen verwiesen. Und wenn einer hier glaubhaft machen kann, den Oberboss persönlich zu kennen, nimmt jeder Polizeimann sofort stramm Haltung an und lässt einem zackig salutierend weiterfahren. Am Eingang zum Strassenverkehrsamt wartete mein Bekannter, um mich zum General zu begleiten. Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch den Transportonkel kennen, welcher meine nun auch äusserlich zur Schau getragene Skepsis im Brustton der Ueberzeugung zu zerstreuen suchte, indem er mir erklärte, wir würden vom General erwartet, er habe diesem meinen Besuch persönlich angekündigt.
Ob diese Aussage stimmte oder nur reine Angabe war, lässt sich nicht mehr feststellen. Tatsache war, dass der General gar nicht ins Büro kam, weil er an einem Empfang eines Ministers teilnehmen musste. Als wir nach einer Stunde Wartezeit in der Schlange vor dem Büro des Generals durch einen Beamten diesen Bescheid erhielten, rief ich einige ganz wüste Worte in Schweizerdeutsch aus, bemühte mich aber, dabei ein fröhliches Gesicht zu machen. Ich musste dies tun, weil man in Indien das Gesicht verliert, wenn man seine Wut offen zeigt. Und ich brauchte das Gesicht ja noch, nicht zuletzt auch für die Vorprache beim General am Nachmittag des nächsten Tages. Eine Fotografie der verdutzten Gesichter meines Bekannten und seines "einflussreichen" Transportonkels, als ich mich nach meiner schweizer-deutschen Tirade wortlos umdrehte und, sie keines Blickes mehr würdigend, zu meinem Auto ging und ziemlich rasant davonfuhr, diese Fotografie hätte an einem Wettbewerb mit Sicherheit den ersten Preis gewinnen können.
Mir blieb also nichts anderes übrig, als wieder nach Hause zu fahren, um mich am anderen Tag nochmals nach Trivandrum zu bemühen. Dabei ist zu erwähnen, dass jeder Weg etwa eineinhalb Stunden Fahrt bedeutet. Als mein Bekannter am Abend nochmals anrief sagte ich ihm mit aller Deutlichkeit, dass ich die guten Dienste seines Onkels als nicht so gut befinde und eigentlich eher darauf verzichten möchte. Das hat insofern positiv gewirkt, als ich am anderen Tag vor dem Büro des Generals von einem seiner Untergebenen empfangen und mir sogar eine Sitzgelegenheit angeboten wurde. Wie sich herausstellte, war eine Journalistin beim General zu Besuch. Sie sei sehr hübsch, wurde mir im Vertrauen ins Ohr geflüstert. Dies führte bei mir allerdings zu ganz falschen Annahmen, als bereits wieder über eine Stunde verstrichen war und sich eine immer grösser werdende Zahl von Wartenden einfand, welche zum General vorgeladen waren. Und dann hat sich der Einfluss des Transportonkels doch noch offenbart, indem mich plötzlich ein Beamter bat, mit ihm zu kommen. Für mich war es wie ein Spiessrutenlaufen, an all den Wartenden vorbei ins Büro des Generals begleitet zu werden.
Da sass also die hübsche Journalistin gegenüber dem sich scheinbar in aufgeräumter Laune befindlichen und mir jovial entgegenlächelnden Einstern-General. Vermutlich hätte mir dieser am liebsten die Hand zum Gruss hingehalten, was hier ja nicht üblich ist. Dieser Gauner hat vor der Journalistin eine bühnenreife Schau abgezogen, vermutlich um zu zeigen, wie volkstümlich er mit dem Publikum verkehrt. Nachträglich habe ich erfahren, dass nach meinem Eintritt in des Generals Büro alle anderen Leute, welche zum Teil schon mehr als zwei Stunden gewartet hatten, wieder nach Hause geschickt wurden! Aber davon hat die Journalistin selbstverstän-dlich nichts gemerkt. Uebrigens, so hübsch war die gar nicht, aber über den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Während die Journalistin eifrig Notizen machte, wollte der General meinen schweizerischen Führer-ausweis sehen, angeblich zur Kontrolle der Fahrzeug-kategorien, für welche ich die Prüfungen abgelegt hatte. Dabei stellte ich mit grossem Erstaunen fest, dass der Mann sogar ganze Sätze bilden konnte, ganz im Gegensatz zu meinen vorigen Besuchen. Der General besichtigte meinen Führerausweis auch wieder von allen Seiten. Er konnte es jedoch diesmal verkneifen, auf das unterschiedliche Foto (ohne Bart) hinzuweisen. Die Aussage wegen des Gurus lässt grüssen!
Doch dann kam der alte Haudegen wieder zum Vorschein; er musste ja der Dame auch beweisen, wer hier der Herr im Hause ist. Mit strenger Miene fragte er mich nach der Gültigkeitsdauer meines schweizerischen Führerausweises. Ich erklärte ihm, dass der Ausweis unbegrenzt gültig sei. Da wollte er wissen, wo dies auf dem Ausweis stehe. Des langen und breiten versuchte ich, ihm klar zu machen, dass es in der Schweiz nicht üblich sei, auf dem Ausweis zu vermerken, dieser sei unbegrenzt gültig. Man zahle in der Schweiz eine einmalige Gebühr für den Führerausweis, weil man festgestellt habe, dass die administrativen Umtriebe bei einer Kontrolle der Gültigkeitsdauer viel mehr kosten, als die Verlängerungsgebühren einbringen. Als er bei dieser endlos werdenden Diskussion die Journalistin bei meinen Argumenten zustimmend nicken sah, verliess der General dieses Thema. Dafür liess er meinen Blutdruck und meine Pulsfrequenz in die Höhe schnellen, als er beanstandete, der schweizerische Führerschein sei nicht in englischer Sprache abgefasst. Ich entgegnete, dass das englische in der Schweiz keine Amtssprache sei. Wenn er sich mit der deutschen, französischen und italienischen Fassung nicht zufrieden geben könne, solle er doch den englischen Text auf dem internationalen Führerschein lesen. Nun sah er seine Profilierung gegenüber der Journalistin in Gefahr und brach auch diese Diskussion ab mit der Bemerkung, ich solle ihm eine englische Uebersetzung des schweizerischen Führerausweises beibringen. Da ich sofort sagte, dies sei für mich kein Problem, liess er mich merken, dass die Audienz beendigt sei. Ich verabschiedete mich mit zusammengelegten Handflächen und einer kleinen Verbeugung, der hier üblichen Grussform, von der Journalistin. Dem General gegenüber verweigerte ich diese Höflichkeit, indem ich ihm sagte, ich hoffe sehr, mich in dieser Angelegenheit nicht noch einmal zu ihm nach Trivandrum bemühen zu müssen.
Wer jetzt meint, ich hätte nach dieser Unterredung endlich den indischen Führerschein erhalten, befindet sich in einem grossen Irrtum. Mein Bekannter in Trivandrum hatte halt doch ein schlechtes Gewissen, nachdem ich ihm klipp und klar gesagt hatte, seine sogenannten guten Beziehungen hätten sich als Flop und Schaumschlägerei erwiesen. So versuchte er krampfhaft, sich bei mir wieder in ein besseres Licht zu bringen. Ich rapportierte ihm kurz die Besprechung mit dem General und er anerbot sich spontan, für die verlangte Uebersetzung besorgt zu sein. Er kenne einen Professor im Ruhestand, welcher diese Uebersetzung machen könne, dies sei absolut kein Problem. Als ich das "kein Problem" hörte, ahnte ich schon das nächste Unheil auf mich zukommen. Zwei Tage später rief mich der Bekannte an und sagte, er habe nun die Uebersetzung und werde sie morgen dem General bringen. Das hat er in der Folge dann auch getan. Fragt sich jetzt nur, mit welchem Resultat. Die Uebersetzung war absolut professionell und in allen Teilen korrekt. Aber was fand dieser Generalsarsch zu beanstanden? Er könne diese Arbeit nicht annehmen, weil sie nicht von einem vereidigten Uebersetzer gemacht und von der Universität beglaubigt sei ....... Als ich diesen Bescheid erhielt, glaubte ich das hinterhältige Grinsen des Generals zu sehen und seine Freude darüber, mir noch einmal eines auswischen zu können. Sein Glück war es, dass ich diesen Bescheid nicht von ihm selber erhielt; ich hätte ihm höchstwahrscheinlich meinen ganzen Wortschatz an Schimpfworten in schweizerdeutsch, hochdeutsch und englisch an den Kopf geschmissen. Mein Bekannter versuchte, mich zu beruhigen und versprach, die vom General verlangte Beglaubigung zu beschaffen. Und da wieder einmal ein Wochenende bevorstand, ging es halt weitere drei Tage, bis die von einem vereidigten Uebersetzer und durch die Universität beglaubigte Uebersetzung vorlag und gleichentags noch dem General zu den Akten gegeben werden konnte. Damit war das Kapitel Einstern-General-Oberboss für mich abgeschlossen.
Aber den Führerschein hatte ich immer noch nicht. Dessen Ausstellung war nun Sache des Trans-portministeriums. Und da ich durch meinen Bekannten dort ja einen guten Onkel hatte, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Ich erhielt auch die Bestätigung, dass vom Strassenverkehrsamt die Ausgabe des Führerscheins an mich freigegeben wurde. Es würde also nur noch eine Sache von wenigen Tagen sein....... diesen Spruch meinte ich auch schon gehört zu haben und meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Und weil ich ja nicht unhöflich sein wollte, rief ich ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit nicht schon am nächsten, sondern erst drei Tage später meinen Bekannten an. Ich fragte ihn nach seinem Befinden und wie es seiner Familie gehe, wie das Geschäft laufe und klagte über das wechselhafte Wetter. Und so ganz nebenbei fragte ich nach dem Verbleib meines Führerscheines. Meinem Bekannten ging es ganz gut, seine Familie sei gesund und munter, das Geschäft laufe eher etwas flau, woran halt auch das für diese Jahreszeit sehr ungewöhnliche instabile Wetter schuld sei. Ja, und mein Führerschein sei bereits fertig gedruckt. "Oh wie schön", entfuhr es mir, "dann komme ich den Führerschein morgen Vormittag bei dir abholen." Nach einem kurzen Räuspern erfuhr ich, dass es da noch ein ganz kleines Problem gäbe, eigentlich fast nicht der Rede wert. Ich konnte nicht widerstehen, meinen Bekannten dazu zu bringen, mir das fast nicht der Rede werte Problem zu schildern. "Weisst du", versuchte er mir in beruhigendem Tonfall beizubringen, "weisst du, diese Führerausweise müssen plastifiziert werden und die Firma, welche das macht, hat kleine technische Probleme mit der Plastifiziermaschine". Aber du kannst beruhigt sein, das dort sind absolute Profis, ich habe dort einen Freund, der ist Ingenieur und der kann ......." Ich spürte den Adrenalinstoss durch meine Adern fahren und stöhnte meinem Bekannten ins Telefon: "sag deinem Freund, er kann auch mich mal am A....bend besuchen!" Dann schmiss ich den Telefonhörer auf die Gabel, obwohl ja eigentlich weder der Hörer noch die Gabel etwas dafür konnten. Und wieder hörte ich mich wüste Worte von mir geben, bis meine liebe Frau ins Zimmer kam, mich mit besorgter Mine anschaute und mich fragte, ob es mir nicht gut sei, ich hätte ein so wachsiges Gesicht, fast, wie wenn ich eine Plasticfolie verschluckt hätte....................
Zur Ehrenrettung meines Bekannten in Trivandrum sei festgehalten: er hatte recht, sein Freund in der Plastifizierfabrik war ein echter Profi. Er brachte die Maschine nach zwei Tagen wieder zum laufen. Und am 10. Mai erreichte mich die frohe Botschaft, dass alle, welche die Fahrprüfung vor dem 15. April absolviert hatten, morgen den Führerschein abholen konnten. "Hallelluja" entfuhr es mir und dann kam mir in den Sinn, dass ich ja die Prüfung am 17. April abgelegt und erfolgreich bestanden hatte. Nur aufgrund der guten Beziehungen meines Bekannten zum Onkel im Transportministerium durfte ich dann am 18. Mai 1999 meinen in Kreditkartengrösse korrekt gedruckten, mit meinem Foto (mit Bart) versehenen und blasenfrei plastifizierten indischen Führerschein entgegen nehmen.
Mein Leben hat sich seither wieder mehr oder weniger normalisiert, mein Blutdruck und meine Pulsfrequenz ebenso. Hin und wieder gibt es ein Problem - glücklicherweise aber nicht mehr mit meinem Führer-schein. Dieses wird erst wieder kommen, wenn ich ihn nach fünf Jahren erneuern muss und ich hoffe, auch dann wieder einen hilfsbereiten Bekannten oder Freund zu haben, für den das alles "No Problem" ist.
Varkala, 18. Mai 1999
Die Verlängerung
oder
Der hilfsbereite Freund
Es ist kaum zu glauben, wie schnell auch hier in Indien 5 Jahre vorbeigehen. Inzwischen hatte ich natürlich viel gelernt in der Lösung von Problemen im Umgang mit Beamten und Behörden. Vor allem wusste ich jetzt, was ich beim letzten Mal falsch gemacht hatte. Mein unverzeihlicher Fehler war, dass ich bei der Audienz beim Einsterngeneral in meinen Pass nicht einige Hundertrupienscheine eingelegt hatte; ganz diskret natürlich. Und beim Durchblättern des Passes hätte ich sehr interessiert durch das Fenster dem emsigen Treiben draussen zusehen müssen, damit der General die so zufällig zwischen den Seiten 14 und 15 liegenden Scheinchen mit geübten Fingern hätte herausnehmen und in seiner Tasche verschwinden lassen können. Selbstverständlich auch dies mit absoluter Diskretion. Na ja, man lernt eben nie aus, selbst wenn man zu Aktivitäten gezwungen wird, die einem total zuwider sind. Aber anders geht es in Indien nicht, die Korruption ist hier schon lange salonfähig geworden und ausser mir scheint sich deswegen niemand aufzuregen.
Trotzdem sah ich der Verlängerung meines Führerausweises mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich vertraute mich diesmal einem wirklich guten Freund an. Er hatte meine frühere Leidensgeschichte in dieser Sache auch mitbekommen und als ich ihn wegen der Verlängerung um Rat fragte, war er so rücksichtsvoll, nicht einfach No problem zu sagen und auch nicht auf seine Verbindungen zu den einschlägigen Amtsstellen und Onkels hinzuweisen, sondern rasch und unbürokratisch zu handeln. Mit anderen Worten, den bürokratischen Krimskrams inklusive das Einfügen von einigen Hundertrupies-Scheinchen selbst in die Hand zu nehmen und mich diskret im Hintergrund zu lassen. Das einzige, was ich selber tun musste, war der Besuch bei der mir inzwischen auch gut bekannten Augenärztin. Diese musste auf dem dafür bestimmten amtlichen Formular meine Sehtüchtigkeit bestätigen und mit ihrem ebenso amtlichen Stempel besiegeln. Weil wir uns ja kannten, füllte sie das Formular während eines belanglosen Gespräches aus und setzte in den dafür bestimmten Linien die Sehschärfen meiner Augen ein. Ob die Zahlen auch stimmten, weiss ich nicht, jedenfalls sah sie keine Notwendigkeit, mich an das comuterisierte Messgerat zu bemühen und so meine Dioptrien zu messen. Hauptsache war, dass das Formular ausgefüllt, unterschrieben und mit ihrem amtsärztlichen Stempel versehen war. Gekostet hat es nichts – ein Hoch auf die persönlichen Beziehungen!
Dieses Formular, begleitet mit notariell beglaubigter Passkopie und Niederlassungsbewilligung sowie dem alten Führerschein übergab ich meinem Freund, welcher alles übrige für mich erledigte. Die Gebühren übergab ich ihm in einer runden Summe, worin auch die nötigen Schmiergelder für die an der weiteren Behandlung meines Verlängerungsgesuches beteiligten Personen und Beamten enthalten waren.
So fuhr ich nun drei Wochen lang ohne Führerschein durch die Gegend. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen, obwohl ich den alten Führerschein während den ganzen fünf Jahren höchstens zweimal vorweisen musste. Zudem befand ich mich mental in dauernder Bereitschaft, auf Anforderung hin bei irgend so einem Polizeiheini erscheinen zu müssen.
Doch nichts dergleichen geschah. Mein Freund telefonierte mir, ich könne den Führerschein bei ihm abholen. Argwöhnisch fragte ich ihn, ob da irgend noch ein Problem sei. Er lachte und versicherte mir, es sei wirklich kein Problem vorhanden. Also fuhr ich flugs zu ihm und er übergab mir den neuen Führerschein. Leider nicht mehr in Kreditkartenform sondern als kleines Büchlein, was ich als echten technischen Rückschritt empfand. Ausser meinem Foto (immer noch mit Bart) waren da auf mehreren Seiten handschriftliche Eintragungen, welche eher als Gekritzel taxiert werden müssen. Zudem hatte es auch drei amtliche Stempel und zwei mit rotem Kugelschreiber eingetragene absolut unleserliche Unterschriften. Die Gültigkeitsdauer meines Führerausweises war leider nicht für weitere fünf, sondern nur noch um drei Jahre verlängert worden. Dies sei wegen meines Alters, denn für über 70ig Jährige werde der Ausweis nur für drei Jahre verlängert.
Soweit, so gut. Dann werde ich halt im Frühjahr 2007 wieder eine Verlängerung beantragen müssen. Bis dahin kann ich nur hoffen, dass der neue Führerausweis auch rechtens ist. Und dass auch in drei Jahren wieder jemand da ist, der weiss, wann, wieviel und wer mit einem Trinkgeld geschmiert werden muss. Selbst wenn mir das halt total gegen den Strich läuft.
Varkala, 27. Mai 2004
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