Schriftenreihe Privat

Wednesday, January 10, 2007

Protokoll eines Spitalaufenthaltes

Hans Müller

Mittwoch, 4. August 2004

Nach einer unruhigen Nacht mit wenig Schlaf dafür viel schwitzen fühle ich mich total erschlagen. Gestern nacht hatte ich 38.8 Grad Fieber, heute morgen noch 38. Kopfweh, Unwohlsein, schwindlig und leichte Gleichgewichtsstörungen. Telefon mit Dr. Gopika, unse-rem Ayurvedaarzt. Er empfiehlt auf jeden Fall Check up im KIMS Hospital. Schickt mir ein Taxi mit Geetha und ihrem Vater. Viel zu viel Aufwand für mich, aber er lässt sich nicht davon abbringen, das sei seine Pflicht als mein Hausarzt. Ich packe mein Necessaire, Pyjama, Dothi, weisses Hemd und graue Kurta ein und weg ging es direkt zum KIMS. Ich kam auch gar nicht in Versuchung, selber mit unserem Auto zu fahren, denn dazu fehlte mir echt die Kraft.

Im KIMS ging die grosse Warterei los. Sherin, die Marketing Managerin, nahm mich sofort in Empfang und führte mich in ihr Büro wo ich und Geetha absitzen konnten. Geethas Vater wartete draussen in der Wartehalle und hütete meine Tasche. Sherin „erzwang“ eine umgehende Konsultation bei Dr. Ramesh Kumar und organisierte ein Zimmer. Nach einer knappen Stunde Warten bei Sherin brachte sie mich ins Zimmer von Dr. Ramesch, wo ich nochmals eine halbe Stunde auf ihn warten durfte. Als er dann endlich erschien, nahm er sich sehr freundlich meiner an, versuchte durch Fragen und erste Tests (Blutdruck und Puls messen, Brust abhören, etc.) herauszufinden, in welcher Weise die Unter-suchungen anzuordnen waren. Er schrieb das ganze Programm auf und übergab es Sherin, damit sie alles Notwendige anordnete.

Zuerst ging es zum Labor zur Blutentnahme. Ich hatte vorsorglicherweise ausser dem morgendlichen Glas warmem Wasser mit Jeevani noch nichts gegessen und auch meine üblichen blutdrucksenkenden Medikamente noch nicht eingenommen. Im Labor nochmals warten und dann bemühten sich zwei Labormäuschen, mir etwas Blut abzuzapfen. Bis die zusammen eine Vene in der Armbeuge gefunden hatten, hätte ich glatt eine Doktor-arbeit schreiben können. Absolut unverständlich. Sie probierten es am linken Arm, dann sagte ich, der rechte sei vielleicht besser, man hätte sonst immer dort gestochen. Also nochmals genaue Suche, ich bekam fast einen Lachanfall. Wenn ich an den Laboranten denke, der uns im Geethanjali immer die Blutproben nimmt: Arm abbinden, Faust machen, desinfizieren, stechen, abzapfen, fertig. Aber zu guter letzt gelang es dem einen Labormäuschen dann doch noch. Die zweite hatte die Aufgabe, mit dem Wattebausch zuerst zu desifinizieren und dann zu sagen, es gäbe jetzt einen kleinen Stich und nach der Prozedur drückte sie wieder den Wattebausch auf die Einstichstelle und befahl mir, zu warten. In einem indischen Spital, auch wenn es ein Luxusspital ist, lernt man das Warten. Dann verschwanden die beiden im Labor und nach einer Weile kam die Wattebäuschchen Managerin wieder und klebte das runde Pflästerchen auf die Einstichstelle, die sich schon längst von selbst geschlossen hatte und wo man schon gar nichts mehr sah...... Glaub der Gugger schon, dass die Traube der Wartenden bald den ganzen Raum füllte, wenn die so rasend schnell arbeiten! Wenn’s mir besser gegangen wäre, hätte ich die beiden gerne gefragt, ob sie in Bern studiert hätten.

Nach der Blutentnahme – es war inzwischen 11 Uhr geworden - hatte ich etwas Hunger, denn ich hatte ja den ganzen Morgen noch nichts gehabt. Also lud ich Geetha und ihren Vater ins Restaurant ein und wollte Frühstück bestellen. Ich fragte die Kassierien, was es gäbe, Antwort: nothing! Es war eben Zwischenzeit zwischen Breakfast und Lunch. Aber Chappathi und Fruchtsäfte waren noch auf der Tafel aufgeschrieben, also bestellten wir halt das. Nachher wieder hinauf in die Lobby, Sherin suchen und sie schickte einen Schangli, der uns aufs Zimmer 548 führte. Dieses liegt auf der Strassenseite, hat aber eine riesige breite und offene Terrasse über die ganze Länge des Gebäudes. Die Insassen könnten also dort tolle Parties feiern. Das Zimmer war, wie seinerzeit jenes von meiner Frau Yvonne eingerichtet, mit Klimaanlage, separatem WC/Dusche, Bett, Beiständerliege, Tisch und zwei Plasticstühlen. Sherin erschien, um zu kontrollieren, ob mir das Zimmer gefalle und sagte, für die weiteren Untersuchungen würde ich jeweils gerufen, ich könne mich hinlegen. Geetha fuhr nach Hause, ihr Vater blieb bei mir, denn ich musste doch einen Beiständer haben, obwohl ich versuchte, ihnen klar zu machen, dass das für sie reine Zeitverschwendung sei, ich kenne mich ja im Spital bestens aus und könne mich gut selber organi-sieren. Keine Wahl, Geethas Vater musste bleiben. Später würde ihn dann Any ablösen.

Ich zog mich um, Dothi und weisses Hemd, so sah ich wie ein hiesiger Politiker aus, die hier ja auch bestrebt sind, mit ihrem Outfit ihre Wichtigkeit zur Geltung zu bringen. Ich bin als Shareholder jetzt durch ein Dossier mit dunkelrotem Einband gekenntzeichnet, dass jedem, der es mit mir zu tun hat, sofort klar ist, dass es sich um einen Miteigentümer des KIMS und im weitesten Sinne somit Arbeitgeber handelt!! (schon wieder Lachkrampf)!

Und dann begann sich das Karussell zu drehen. Ein Karbolmäuschen nach dem anderen hatte etwas zu erledigen; Blutdruck messen, Fieber messen, Puls messen, Döschen für Urinprobe bringen, zwischendurch Dr. Shahul Hameed, einer der sieben neuen Herz-spezialisten, welcher mir viele Fragen stellte, deren Antworten er in meinem Dossier hätte nachlesen können. Er wollte wissen woher ich sei. Ich sage dann immer, aus Varkala und weiss im voraus, dass dann die Frage nach dem Country of origin kommt. Und prompt kam die Frage nach meinem Ursprungsland. Ah Switzerland, very nice country, er habe in Brüssel studiert und sei auch in Basel und Zürich gewesen, Bern kenne er nicht und was ich denn in Switzerland gemacht hätte und was ich hier mache. Da kommt dann immer mein blöder Spruch mit Lacher: enjoying the live, dann Lacher auf seiner Seite und so fort. Bin ich eigentlich hier zu einem Interview oder was soll das Ganze? Das ist halt deren Form von Höflichkeit. Während er noch Konversation mit mir pflegte, kam einer herein mit einem Apparat auf einem Wägelchen und Dr. Shahul erklärte, es werde nun ein EKG gemacht, was ich ehrlich gesagt auch schon längst erwartet hatte. Also Elektroden an Brust Unterarmen und Beinen befestigen, Apparat surren lassen, Ausdruck dem Arzt überreichen, Elektroden wieder abmontieren und die Kleber wegnehmen, was dem jungen Assistenten offenbar mehr Schmerzen bereitete als mir selber. Ist halt ein Unterschied, ob man die Kleber auf glatter Haut oder eben auf haariger Haut befestigen muss. Dr. Shahul warf einen kurzen Blick auf den EKG Ausdruck und verab-schiedete sich freundlich, gefolgt vom jungen Ass-istenten, welcher das EKG-Wägelchen wieder hinaus-fuhr. Dabei hätte ich viel lieber seinen Befund gehört.

Und weiter drehte sich das Karussell: es kamen wieder zwei andere Labormäuschen mit ebenso grossen Mühen, eine günstige Einstichstelle im Arm zu finden, dann kam eine Art Chiefhousekeeper mit seinem Assistenten, der mir erklärte, ich müsse den Zimmer.schlüssel immer im Schwesternraum deponieren und mit dem zweiten Schlüssel könne ich die Tür zum Balkon öffnen. Toll, so was wäre mir selber ja sicher nie in den Sinn gekommen.

Dr. Ramesh Kumar hatte mir ja bei der Erstkon-sultation den dringenden Rat gegeben, vor allem ruhig zu liegen. Ja denkste, das war ein Kommen und Gehen, dass ich selber bald nicht mehr wusste, weshalb ich eigentlich hier bin. Dann kam wieder ein junger Arzt (die Aerzte kennt man ja schnell, sie haben alle ein Stethoskop um den Hals), stellte sich artig vor, mass den Blutdruck und den Puls und fragte die ganze Krankengeschichte, welche ja schon mehrfach in meinem Dossier enthalten ist, nochmals sehr eingehend ab und machte eifrig Notizen auf den Formularen – die gleichen, welche sich schon ausgefüllt in meinem Dossier befinden. Er fragte höflich, aus welchem Land ich komme (war mit der Antwort Varkala auch nicht zufrieden), welche Sprache ich in der Schweiz gesprochen hätte und dann vertraute er mir an, dass er französisch gelernt habe und dies eine der schönsten Sprachen finde – englisch dagegen sei die mieseste Sprache, monoton ohne Charakter und Aussage-kraft. Na ja, wenn er das so findet, wird es wohl so sein, er ist ja immerhin ein Studierter.

So ging es also weiter bis in den frühen Nach-mittag, ob ich eventuell auch Lust auf einen Lunch hätte, fand man gar nicht fragewürdig. Von ausruhen oder gar schlafen, wie das Dr. Ramesch dringend empfohlen hatte, keine Rede. Dafür begann dann ab 15.30 Uhr das Presslufthammerkonzert. Geethas Vater und mich hätte es glatt aus den Schuhen gehauen, wenn wir solche angehabt hätten, als direkt über unserem Zimmer zwei Pressluftbohrer zu hämmern begannen – also nur raus auf den Balkon. Aber da war der Lärm eher noch grösser. Sherin hatte mir zwar gesagt, es seien leider störende Bauarbeiten im Gange, weil sie 100 zusätzliche Zimmer aufstocken. Guter Rat war also bei diesem Lärm teuer und an Ausruhen schon gar nicht zu denken. Also schloss ich die Balkontüre wie durch den Housekeeper Manager instruiert ab, machte mit der Zimmertüre das gleiche und ging mit Geethas Vater in die riesige Eingangshalle hinunter, vorbei am Schwesternstand, wo ich eigentlich vorschriftsgemäss den Schlüssel hätte deponieren sollen. Da ich nicht einsah, für was das gut sein sollte, weil ich ja eh im Sinne hatte, irgend einmal wieder in mein Zimmer zurückzukehren, nahm ich den Schlüssel eben mit. So sassen wir dann in der Halle, hier Lobby genannt, und beobachteten das emsige Kommen und Gehen. Zwischendurch gingen wir ins Restaurant einen Kaffee trinken. Dann kam Any und sagte, er sei mit dem Motorrad hier und komme dann Geethas Vater ablösen, wenn er von Trivandrum zurückkomme. Darauf folgte Geetha mit dem Taxi von der Einkaufstour aus Trivan-drum zurück und ich sagte, ihr Vater könne jetzt ruhig mit ihr nach Hause fahren. Nur zögernd nahm sie das Angebot an und hatte jetzt natürlich das Problem, wie sie ihrem Mann, dem Doktor erklären konnte, dass man mich wirklich für eine kurze Zeit auch allein und ohne Beiständer im KIMS lassen könne. Also sass ich noch eine Weile allein herum und ging dann wieder in den 5. Stock, um mich physisch und vor allem psychisch an den Pressluftbohrerlärm zu gewöhnen. Bald kam Any und wir gewöhnten uns gemeinsam an den Lärm – etwas anderes hatten wir ja ohnehin nicht zu tun. Um wieder etwas ruhigere Umgebung zu geniessen, ging ich auch mit Any nochmals in die Lobby. Sherin sah uns dort sitzen, kam sofort zu mir und fragte mit besorgter Mine, ob irgend etwas nicht in Ordnung sei. Nein nein, ausser dem Presslufthammerlärm sei alles bestens. Dann begrüsste ich Dr. Gopal, unseren Augenarzt, welcher trotz drei-maligem fragen nicht begreifen konnte, dass ich da auf niemanden warte. Und auch der Vizechairman und damit zweithöchster Spitalchef, Dr. Vijayarachavan, der kleine Herzspezialist mit dem grossen (und für mich viel zu langen) Namen begrüsste mich freundlich, fragte, wie es mir, meiner Frau und unserer Pflegetochter gehe. Ich hielt Gegenrecht und fragte auch ihn, wie es ihm und seiner Familie gehe. Meine Bemerkung, ich sei diesmal als stationärer Patient hier, überhörte er sichtlich und ging fröhlich winkend dem Ausgang zu.

Ich wollte mit Any zum Nachtessen, aber da es dies erst ab 19.30 gibt, bestellte ich mir einen Kaffee und zwei Bunns. Der Kaffee in der Kantine ist gut, die Bunns waren alt. Unterdessen hatten die Bauarbeiter die Pressluft abgelassen und sich bis am nächsten Morgen von der Arbeit abgemeldet. So konnten wir unser jetzt wunderbar ruhiges Zimmer wieder beziehen. Fernseher an, ein bisschen herumzappen und dann auf Jeevan TV warten bis die Nachrichten kamen. In letzter Zeit immer nur schlechte Katastrophen-Nachrichten. Any war offen-bar müde und wollte schlafen, also Licht aus. Um 20.30 klopft es an der Türe, zwei Karbolmäuschen kommen und messen Fieber und den Blutdruck. Nach weiteren etwa 20 Minuten klopft es wieder und zwei andere Schwestern bringen Medikamente, welche ich in ihrem Beisein mit Mineralwasser (wurde vorsorglicherweise schon am Morgen von Geethas Vater beschafft) hinunterspülen musste. Good night Ladies und Licht wieder aus. Nobis von wegen gute Nacht: eine Viertel-stunde später kam wieder einer und wollte das Tablett vom Nachtessen abholen, welches ich ja gar nie bezogen hatte. Diesem Löli habe ich nicht gute Nacht gewünscht, weil ich nämlich vor seinem Kommen echt schon eingeschlafen war. Und ob man es glaubt oder nicht, um 21.20 kommt doch Dr. Ramesch Kumar persönlich nochmals vorbei, um sich zu erkundigen, wie es mir gehe. Er habe die Resultate der Blutuntersuchungen eingesehen, es sei also mit Sicherheit ein Viral Fever und ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen (Dabei wollte ich mir ja gar keine Sorgen machen, sondern einfach versuchen, zu schlafen!!) Es werde am Morgen nochmals eine Blutuntersuchung gemacht und ich könne damit rechnen, am Vormittag „discharched“, also entlassen zu werden. Eigentlich toll, dass sich der zweithöchste Mediziner so spät noch um einen kümmert, aber schlafen wäre mir auch recht gewesen. Vielleicht war es ja auch nur, weil ich Miteigentümer des KIMS bin, hahaha. Mit diesem späten hohen Besuch wäre eigentlich dieser Tag vorbei-gegangen, wenn.... ja wenn nicht eine weitere halbe Stunde später nochmals ein Karbolmäuschen – diesmal allein – angeklopft hätte um mir nochmals eine vor ihren Augen einzunehmende Pille zu kredenzen. Dann klopfte niemand mehr an, dafür ging der Lärm auf dem Korridor munter weiter. Ein Baby, welches schon tagsüber seine für sein zartes Alter überaus kräftigen Stimmbänder zum erklingen brachte, hielt es offenbar im Zimmer bei seiner Mutter nicht aus und wollte lieber im Gang draussen brüllen. Irgendwann muss ich dann aber auf dem harten Lager doch noch eingeschlafen sein. Die Befürchtung, Any könnte ein Schnarcher sein, erfüllte sich gottseidank nicht und er liess sich auch nicht stören, dass ich in der Nacht mehrere Male die Toilette aufsuchen musste. Offenbar hatten die Medikamente unter anderem auch Nieren und Blase stark aktiviert. Aber, wie auch daheim üblich, konnte ich dann in denn frühen Morgenstunden etwas tieferen Schlaf finden.

Donnerstag, 5. August 2004

Mein Patientenschlaf dauerte bis genau 5 Uhr morgens. Zwei Schwestern erlaubten sich, meine Temperatur und den Blutdruck, sowei den Puls zu messen. Dann kamen wieder die beiden Laborschwestern vom Vorabend und die komplizierte Venensuchprozedur wiederholte sich erfolgreich und die beiden schwirrten mit einer weiteren Probe meines kostbaren Lebenssaftes ab. Ob die Ampullen auch mit Sharholder-Etiketten bezeichnet sind, konnte ich nicht ausmachen Es folgte eine Art Oberschwester, welche die Aufgabe hatte, sich freundlich nach meinem Wohl- oder Unwohlbefinden zu erkundigen, wie es mir ginge, wie ich geschlafen hätte und wie ich mit dem Zimmer zufrieden sei. Ob ich nicht lieber noch etwas weiterschlafen möchte hat sie aber nicht gefragt. Liebenswürdig wie ich bin, gab ich brav und geduldig die von ihr erwarteten Antworten. Dann war ihre Mission beim Sharholder beendet und mit ausgesuchter Freundlichkeit verabschiedete sie sich wieder.

Dann kam ein weiterer Höhepunkt, indem ein männlicher Karboler mir eine zweiteilige Spitaluniform brachte, welche, wie ich erst später aus den Regeln für Inpatients las, hier obligatorisch sind. Die Beiständer dagegen erhalten einen Ausweis, mit dem sie sich im Spital bewegen können und der bei den jetzt relativ häufigen Sicherheitskontrollen vorzuweisen ist. Ohne diesen Ausweis kommt keiner in die Inpatient-Etage. Die Uniform ist aus weissem Stoff mit hellblauen Blümchen; die Hose war mir so eng, dass ich sie nicht zubinden konnte und das Oberteil, eher eine Art Saribluse, passte noch weniger, sodass ich diese mit meinem weissen Politikerhemd ersetzte, wenn ich das Zimmer verlassen musste. In den Inpatient-Regeln stand übrigens auch, dass Inpatients sich nur auf der Etage aufhalten dürfen, wo ihr Zimmer liegt. Alles andere ist durch den Beiständer zu erledigen, bzw. durch die Spitalorgane. Jetzt wurde mir schon klar, warum gestern auch Sherin so komisch gefragt hatte, als ich mit Any verboten-erweise in der Lobby sass und der Augenarzt nicht begreifen konnte, dass ich auf niemanden wartete...

Inzwischen hatte sich Any im Badezimmer geduscht und sich für die Rückreise angezogen. Ich dankte ihm für seine Hilfe, die ich im Grunde genommen gar nicht in Anspruch genommen hatte, weil ich keine Hilfe brauchte und verabschiedete ihn, da er zurück ins Geethanjali an die Arbeit musste. Also war ich ohne Beiständer, was mir mehr als recht war. Ich konnte nun im von Any überschwemmt hinterlassenen Badezimmer meine Dusche nehmen. Zum Glück hatte ich in meinem Necessaire noch ein kleines Gästeseifchen von einem früheren Hotelbesuch dabei und da auch kein Bade- oder Handtuch vorhanden war, missbrauchte ich den Dothi halt zum abtrocknen. Muss dann bei Gelegenheit mal den Executiv-Direktor fragen, ab welchem Aktienanteil ein Shareholder im Deluxe-Zimmer auch Anspruch auf Seife, Hand- und Badetuch hat.

Als erste beiständerlose Aktion versuchte ich, mich ins Restaurant zum Frühstück zu begeben, denn wiederum war es bis jetzt niemandem in den Sinn gekommen, mich wegen dem Frühstück zu fragen. Also schloss ich vorschriftsgemäss wieder die Balkontüre und auch die Zimmertüre ab und wollte zum Lift marschieren. Auf dem Weg dorthin kam ich am offenen Büro der Karbolmäuschen vorbei, sagte freundlich good morning und da endete meine Frühstücksaktion dann auch schon. Eine der Schwestern gab mir ganz bestimmt zu verstehen, dass ich mich nicht allein vom Stockwerk wegbegeben dürfe. Da ich ja inzwischen die Humor-losigkeit der Keraliten kenne, verklemmte ich es mir, sie zu fragen, ob sie mich denn begleiten würde. Sie hätte den Witz ohnehin nicht verstanden. Dafür sagte ich ihr, dass ich Hunger habe und wie ich denn jetzt vorgehen müsse, um zu einem Frühstück zu kommen. „Room Service, phone number 2463“ (oder so was ähnliches) war die Antwort. Also trottete ich wieder zu meinem Zimmer 548 zurück, ständig die mir vorgesagte Telefonnummer vor mich hinmurmelnd, weil mein Kurzzeitgedächtnis halt altershalber schon sehr sehr kurz geworden ist und ich vieles grad wieder vergesse, was nicht unbedingt lebensnotwendig ist. Und um zu entscheiden, ob ein Frühstück unter diesen Umständen für mich lebensnotwendig ist, fehlen mir einfach die notwendigen medizinischen und ernährungstechnischen Vorkenntnisse. So schloss ich die Zimmertüre und die Balkontüre wieder auf, letztere, damit wieder die schöne frische Morgenluft hereinkommen konnte. Dann wählte ich die mir vorgegebene Nummer und es meldete sich tatsächlich nach etwa sieben Versuchen der Room Service. Ich bestellte wieder Kaffee und zwei Bunns, also das gleiche Menu wie am Abend vorher zum Nachtessen.

Nach einer Weile kam dann der Room Service Angestellte – Kellner darf man ihn in einem Spital wohl nicht nennen – und stellte ein Tablett mit einer mittelgrossen Thermoskanne sowie auf einem Teller zwei mit einer Plasticfolie hygienisch zugedeckten Bunns auf den Tisch. Er wies noch darauf hin, dass in der Dose, welche sich bei den beiden Tassen befand, Zucker sei und verschwand wieder. Ich war sehr froh, dass er mich auf den Inhalt der Zuckerdose aufmerksam gemacht hatte, ich wäre sonst wohl kaum auf den Gedanken gekommen, dass da Zucker drin sein könnte, denn auf dem Dosendeckel stand „Sugar“ und nicht „Zucker“. In freudiger Erwartung auf einen fein duftenden Kaffee öffnete ich die Thermoskanne und füllte eine Tasse voll. Da ich den Kaffee gerne gesüsst geniesse, wollte ich auch Zucker beifügen, doch leider war nirgends ein Löffel aufzutreiben. Als einziges Werkzeug lag eine Kurbel auf dem Tisch, mit welcher man das Bett in der Höhe verstellen kann, aber die schien mir als Kaffeelöffelersatz nun doch weniger geeignet. Macht auch nichts, dann trinke ich den Kaffee halt ohne Zucker. Nun löste ich die Plasticfolie über den vorgewärmten Bunns, nahm eines heraus und wollte ein Stück davon abbrechen. Das sonst so luftige Gebäck stellte sich als ein altes, wohl schon ein paar Mal aufgewärmtes gummiartiges Gebilde heraus. Trotzdem versuchte ich ein kleines Stück herauszuklauben und es mit viel Kaffee nachgiessen im Mund aufweichen zu lassen – leider ergebnislos. Na ja, dann bestand mein Frühstück halt nur aus drei Tassen Kaffee, aber wenigstens war der gut, wenn leider auch ohne Zucker. Auf der beim Austritt zu bezahlenden Rechnung war das Frühstück mit 20.80 Rupies verrechnet.

Also Hände waschen, am Dothi abtrocknen und nochmals etwas ins Bett liegen. Ja das tat wirklich gut. Allerdings dauerte das Guttun leider nur kurze Zeit, denn auf dem Dach nahmen die Bauarbeiter wieder mit neuem Elan ihre Presslufthammerarbeit auf. Da man sich auf normale Weise an solchen Lärm nicht gewöhnen kann – Yvonne hätte natürlich Ohrstöpsel bei sich gehabt – versuchte ich es auf eine ganz ungewohnte Art. Der Daniel Liebig, ein ehemaliger Gast vom Geethanjali, hat doch einmal gesagt, dass man beim Meditieren alle störenden Geräusche ausschalten könne. Also versuchte ich mich auch nur auf einen immaginären Punkt zu konzentrieren – und tatsächlich fiel ich wieder in einen mehr oder weniger erholsamen Morgenschlaf. Der wurde nach ungefähr einer Stunde abrupt unterbrochen, weil Dr. Ramesh Kumar mich berührte und mir mit besorgter Miene guten Morgen wünschte. Der konnte es nun überhaupt nicht verstehen, wie ein Mensch ohne Hörstörungen bei diesem Saulärm noch schlafen konnte. Ich brüllte guten Morgen zurück, denn normal konnte man sich nicht unterhalten. Er kontrollierte wieder Blutdruck und Puls, die erstaunlicherweise trotz des Lärms nicht viel höher waren als am frühen Morgen. Dann versuchte er, mir verständlich zu machen, dass ich im Laufe des Vormittags wieder auschecken könne, nachdem mich Dr. Shahul nochmals über die zusammen-fassenden Ergebnisse der Untersuchungen informiert habe. Da die Presslufthammermänner grad eine kleine Pause einlegten, konnte ich mich in normaler Lautstärke für seinen Einsatz bedanken.

Nachdem er sich verabschiedet hatte, ging der Krach bald wieder los. Ich stellte fest, dass der Akku vom Mobiltelefon leer war, dabei wollte ich doch Yvonne von der in Aussicht gestellten Entlassung infor-mieren.. Das Ladegerät hatte ich vorsorglicherweise bei mir, wo sollte also das Problem liegen? Na, es lag an den modernen Steckdosen im KIMS. Ich versuchte an allen drei Dosen im Zimmer, den Kontakt herzustellen, ging später auch noch draussen beim Computerbüro eine andere Steckdose suchen – alles ohne Ergebnis. Im stillen musste ich trotz der unerfreulichen Situation eigentlich grinsen; unsere Schiffszeiten kamen mir in den Sinn, die Steckdosen in vielen Hotels wo wir waren und ich immer wieder Probleme mit dem Elektrischen hatte. Der Müller rennt wieder dem Strom nach! Dieses Gespenst lässt mich wohl nie mehr los! Ich spazierte auf dem Korridor hin und her, dort, wo der Lärm nicht so stark war, unterhielt mich mit dem Housekeeping Manager, welcher für das Ladegerät auch keine andere Lösung wusste und zuguterletzt fand ich auf der entgegengesetzten Seite einen kleinen Nescafé-Stand, wo ich mir für 5 Rupies einen Kaffee erstand. Wie bei diesen Automaten üblich, fliesst der Kaffee in einen dieser dünnwandigen Plasticbecher, was ja nichts ausmachen würde, wenn der Kaffee nicht süttigheiss fast bis an den Rand gefüllt wäre. Ich verbrannte mir fast die Finger und wusste kaum, wie ich den Becher in mein Zimmer balancieren sollte. Trinken war sowieso unmöglich, dazu war der Kaffee noch viel zu heiss. So stellte ich den Becher halt schnell auf den Boden und versuchte ihn dann mit zwei Fingern so am Rand zu fassen, dass ich mir diese nicht verbrannte. Du hättest die Gesichter der Leute sehen sollen, die auch auf dem Korridor waren, als dieser weissbärtige Alte in einer halben Spitaluniform an ihnen vorbeidüste und mit ausgestreckten Fingern den Kaffeebecher so balancierte, dass möglichst nichts überschwappte und auf den frisch aufgenommenen Boden fiel. Im Zimmer angekommen stellte ich den Becher erst einmal auf den Tisch und liess den Kaffee etwas abkühlen. Ich untersuchte meine Fingerbeeren, ob sich da vielleicht Brandblasen gebildet hätten, doch dem war glücklicherweise nicht so. Die Pressluftmänner hatten wohl Weisung erhalten, nur in Abständen zu hämmern und zwischendurch wieder Ruhe zu geben. So wurde es etwas erträglicher.

In der Zwischenzeit hatte auch mein Hausarzt Dr. Gopika angerufen und mich ermahnt, ja auf mich aufzupassen. Ob es eventuell nicht besser wäre, wenn ich zur Kontrolle noch zwei, drei weitere Tage im KIMS bleiben würde. Zum guten Glück hämmerten die Presslüfter in diesem Moment wieder los und ich sagte ihm, dass ich es keine Minute länger als nötig in diesem ohrenbetäubenden Saulärm mehr aushalte. Er informierte mich dann, dass Geetha im Taxi in Trivandrum unterwegs sei, um Medizine zu kaufen und in einer halben Stunde ins KIMS komme, um mich abzuholen und mich nach Varkala zu begleiten. Auf meinen Vorschlag, dass ich mir hier beim KIMS ein Taxi nehmen könne, trat er gar nicht ein, also ergab ich mich halt in mein Schiksal.

Die Warterei begann langsam an den Nerven zu zehren. Ich erinnerte mich an das endlose Prozedere, welches wir durchmachten, als Yvonne nach ihrer Operation aus dem Spital entlassen wurde. Da schon wieder eine Stunde vergangen war, versuchte ich, Sherin zu mobilisieren, aber da war sie schon auf dem Weg zu mir. Ich bat sie, den ganzen Abrechnungsvorgang mit Rücksicht auf meine zunehmende Lärmempfindlichkeit möglichst zu beschleunigen, worauf sie sofort herum zu telefonieren begann und entsprechende Anweisungen gab. Aber nun stellte sich heraus, dass das Check-out erst beginnen kann, wenn der zuständige Arzt sein O.K. gegeben hat. Und in meinem Fall war dieser zuständige Arzt Dr. Shahul, der ja in Brüssel studiert hatte und französisch kann. Ja, und der sich jetzt halt auf dem allmorgendlichen Visiten-Rundgang befand. Ach Scheibenhonig. Nach einer weiteren guten Stunde bemühte sich Dr. Brüssel, sorry, Dr. Shahul zusammen mit einer Assistentin auch in mein Zimmer, um mir zum Abschied nochmals den Puls zu fühlen und am Rücken mein Herz abzuhören. Ausser dem Viral Fever sei alles in bester Ordnung, wegen dem Herzen hätte ich überhaupt keine Bedenken zu haben, im Gegenteil, ich hätte ein junges Herz. Eigentlich möchte ich lieber ein gesundes Herz haben, aber ich mochte ihn nicht fragen, wie jung denn mein Herz im Vergleich mit meinem wirklichen Alter sei. Die Medikamente bekäme ich beim Aus-checken und in zwei Wochen soll ich nochmals zur Kontrolle kommen. Ich solle mich in den nächsten Tagen noch etwas schonen und möglichst viel ruhen. Er wünschte mir gute Besserung und die Besprechung, auf welche ich mehr als drei Stunden gewartet hatte, war in ziemlich genau sieben Minunten und fünfzehn Sekunden beendet.

Sofort rief ich Sherin an und informierte sie über die Schlussvisite. Nun ging alles wie am Schnürchen, ein paar Minuten später wurde ich telefonisch aufgefordert, an die Kasse zu kommen, um die Rechnung zu bezahlen. Da erwartete mich eine angenehme Ueberraschung, denn für den ganzen Zauber musste ich nur mein durch den Room Service gebrachtes Frühstück für Rs. 20.80 bezahlen. Der restliche Rechnungsbetrag wird von der Versicherung beglichen, welche das KIMS für die Aktionäre abgeschlossen hat. Diesen steht ja pro Jahr ein fester Betrag zur Verfügung, was in meinem Fall einer 10%igen Verzinsung des Aktienkapitals entspricht. So gesehen ist also dieser Aktienkauf kein schlechtes Geschäft gewesen, ganz abgesehen davon, dass unsere Patientendossiers nun einen dunkelroten Deckel haben. Nach dem ausfüllen des Formulars für die Versicherung ging ich wieder in die 5. Etage, wo ich die Quittung über Rs. 20.80 vorwies und damit natürlich bei den Karbolmäuschen auf grosses Unverständnis stiess. Sie durften mir ja den schriftlichen Krankheitsrapport und die Medikamente nur gegen Vorweisung der Quittung über die Bezahlung der Spitalrechnung aushändigen. Und dass jemand für einen zweitägigen Aufenthalt in einem Deluxe-Zimmer und den ganzen Spitalleistungen nur 20.80 Rupies zu bezahlen hatte, ging weit über ihren Schwesternhorizont hinaus. Aber die eine der Schwestern hatte wohl mitbekommen, dass ich ein Rotdeckelpatient bin und die anderen Schwestern sofort diskret informiert, worauf der Ausändigung der Entlassungspapiere nichts mehr im Wege stand. Mit Krankheitsrapport und Medikamenten konnte ich nun in mein Zimmer zurück. Meine Sachen hatte ich vorher schon gepackt, sodass ich nur noch gemäss der Vorschrift des Housekeeper Managers die Balkontüre abschloss, mein Gepäck aufnahm, das Zimmer abschloss und den Karbolmäuschen mit bestem Dank für ihren unermüdlichen und mich kaum ruhen lassenden Einsatz den Zimmerschlüssel zurückgab. Beim Lift standen die Leute schon wieder Schlange, sodass ich mich ent-schloss, den Rückweg über die Treppe zu bewältigen. Geetha war inzwischen auch eingetroffen und wartete auf mich. Sie nahm mir die Tasche ab und brachte sie schon mal zum Auto. Ich ging ins Büro von Sherin, um mich auch bei ihr zu bedanken und mich zu verabschieden.

Bei strömendem Regen fuhren wir weg vom KIMS und um 14.30 war ich zu Hause. Müde, wohl wegen dem Virusfieber - und als Aktionär eines Spitals um eine Erfahrung reicher.

Varkala, 9. August 2004

Hans Müller

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