Schriftenreihe Privat

Wednesday, January 10, 2007

BLICK online vom 4. November 2000


Blick in die Ferne
Es braucht Mut, Neugierde und etwas Glück.

Auswandern ist der Traum vieler Schweizer. BLICK stellt Lese­rinnen und Leser vor, die das Wagnis auf sich genom­men haben.

Heute: Hans Müller (70), Varkala, Südindien


Ein Leben nochmal ganz anders

VON KATJA RICHARD

VARKALA (Indien) - Schon mit vierzig wusste Hans Müller (70), dass er nach seiner Pensionierung in wärmere Gefilde ziehen würde. Aber ausgerechnet nach Indien? Länder wie Italien oder Spanien würden uns Schweizern doch viel näher liegen.

«Viele Leute denken zuerst, dass wir hier unseren Guru finden wollen, aber das ist nicht so», sagt Hans Müller. Eine Bekannte erzählte dem Ehepaar von Kerala, einem süd­westindischen Bundesstaat, von dem beide noch nie etwas gehört hatten. Yvonne Müller (39) wurde neugierig und begann alles zusammenzutragen, was sie über Kerala finden konnte.

Im Januar 96 flog das Ehepaar das erste Mal nach Indien, vorerst für vier Wochen. «Wir hatten das Glück, immer wieder auf freundliche Menschen zu treffen, die uns Tipps gaben und weiterhalfen», sagt Hans Müller. Ein halbes Jahr später schlugen die beiden ihre Zelte definitiv in Varkala auf - diesen Entscheid haben sie noch nie bereut.


Das Paar hat sich in der uns fremden indischen Kultur gut eingelebt. Wichtig sei, dass man nicht ständig vergleiche: «Man muss vergessen, wie es in der Schweiz war, und sich dem Neuen öffnen.» Dies sei ein ständiger Lernprozess, aber genau das schätzt Hans Müller.

Er hat sich auch nicht gescheut, nach 47 Jahren nochmals eine Fahrprüfung abzu­legen. Der grimmige Experte meinte bloss, dass Hans Müller beim Hupen noch einen Zacken zulegen müsse. Nun gilt der weisse, bärtige Mann als Unikum, wenn er mit sei­ner Rikscha durch die Gegend fährt.


Die Müllers geniessen das Leben in Kerala. Hans steht morgens früh auf und ist dank der Zeitverschiebung einer der Ersten, die den Online-BLICK lesen. Schliesslich war er bereits BLICK-Leser der ersten Stunde. Später machen seine Frau und er Yoga-Übun­gen. «Soweit es meine alten Gelenke noch zulassen», lacht Hans. Und einmal die Wo­che gönnen sich die beiden eine Ayurveda-Behandlung, eine uralte indische Heilme­thode.

Die Haushälterin Sandha verwöhnt das Paar mit der keralitischen Küche. Vor drei Jahren haben die Müllers auch deren Tochter Savida (9) bei sich aufgenommen. Das Mädchen hatte in ihrem kurzen Leben schon viel Leid erfahren müssen. Sie behandeln sie wie ihre eigene Tochter und ermöglichen ihr eine Ausbildung an einer englischen Schule. «Es freut uns, Savida und ihrer Mutter ein kleines Stück des uns zufallenden Glücks weitergeben zu können», meint Yvonne Müller strahlend.

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