Indische Abgaskontrolle
Hans Müller
Wer einmal in einem der zum indischen Strassenbild gehörenden Ambassador Taxis, welche ja meistens mit offenen Seitenscheiben fahren, eine Stunde lang auf dem National Highway 47 hinter den stinkenden Bussen und Lastwagen gefahren ist, wird glattweg abstreiten, dass es im südindischen Staat Kerala Abgasvorschriften gibt. Da Dieseltreibstoff etwa die Hälfte von Benzin kostet, welches übrigens hier Petrol heisst, sind die meisten Fahrzeuge mit Dieselöl betrieben. Und demgemäss stossen sie halt auch die dunklen stinkenden Russwolken aus dem Auspuff. Am meisten die Lastwagen, Busse und die offiziellen Fahrzeuge der Polizei und der Regierung. Regierungsfahrzeuge erkennt man am zusätzlichen Schild "Government of Kerala" oder auch "Government of India". Solche Dienstfahrzeuge gibt es in Kerala fast so viele wie Sand am Meer. Sie werden denn auch von den Beamten meistens für den privaten Gebrauch verwendet, wenn sie nicht grad von einer Polizeieskorte begleitet mit Rotlicht und dem Daumen auf der Hupe meist unnötig durch die Gegend rasen. Und die Luft mit ihren Dieselauspuffgasen verschmutzen.
Doch kommen wir zum Thema Abgaskontrolle. Kerala wird ja oft wegen seiner natürlichen Schönheit auch "Gods own country", also Gottes eigenes Land genannt. Also sozusagen ein göttlicher Ruhesitz. Allerdings ist zu bezweifeln, dass dieser Ausdruck von Gott oder einem der vielen indischen Götter stammt. Die Erfindung dieses werbewirksamen Ausdrucks dürfte eher den Förderern des Tourismus zugeordnet werden. Sei dem wie es wolle, den Göttern muss die zunehmende Luftverschmutzung durch die stinkenden Abgase wohl auch übel bekommen sein. So befahlen sie der Regierung, dem Uebel beizukommen und entsprechende Abhilfe zu schaffen. Und wenn es die Götter befehlen, ist auch die Regierung in Kerala folgsam und macht das, was eine Regierung in einem solchen Fall eben machen kann: sie erlässt ein Gesetz mit Vorschriften und Ausführungsbestimmungen. Und wer eine zeitlang in Kerala gelebt hat, weiss, dass Gesetze und Vorschriften gemacht werden, um sie ganz einfach zu ignorieren, angefangen von den Politikern, Beamten, Bürokraten bis zum gemeinen Fussvolk. Die Opposition ruft zu einem landesweiten Streik auf, welcher interessanterweise auch meist landesweit befolgt wird und somit den Schülern zu einem schulfreien Tag verhilft, den Mann von der Strasse aber um einen Tageslohn und die Ladeninhaber um einen Tagesumsatz bringt. Aber komischerweise lehnt sich niemand dagegen auf.
1989 wurde in Kerala also ein Gesetz betreffend die Luftverschmutzung mit den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen und Vorschriften in Kraft gesetzt. Jedes Fahrzeug müsse alle sechs Monate zum Abgastest vorgeführt werden. Diese Test dürften nur von der Regierung anerkannte Prüfstellen durchführen. Nach bestandener Prüfung ist ein Kleber und ein Abgaszeugnis mit den gemessenen Werten gegen eine Gebühr abzugeben. Damit hatte man den Bitten der Götter Genugtuung verschafft und vor allem die Erlasse der Zentralregierung in Delhi befolgt. Es wurde, wie bei Gesetzeserlassen in der ganzen Welt üblich, viel Papier gedruckt; Formulare wurden dutzendweise erstellt. In der Presse wurde der Anlass gebührend behandelt; Leserbriefe machten auf die Vor- und Nachteile aufmerksam, die Lastwagen- und die Buslobby wetterten gegen die Einführung und die Opposition rief zum Streik auf.
Nur eine Sache war noch unklar: wie sollten eigentlich alle Fahrzeuge für die Abgaskontrolle erfasst werden? Von Abgastestgeräten, wie sie im Westen verwendet werden, hatte man zwar auch schon im Rahmen der Vernehmlassung zu den Ausführungsbestimmungen gehört. Aber solche Geräte waren für hiesige Verhältnisse sehr teuer und die Staatskasse war ohnehin leer. Beamte, welche man zur Kontrolle einsetzen konnte, gab es zwar mehr als genug, aber wer konnte diese instruieren, wie sie die Abgaskontrollen durchführen sollten? Fragen über Fragen und keine Lösungen. Die Polizei wehrte sich vehement gegen diese Aufgaben, das falle nicht in ihren Bereich, das sei Sache der Strassenverkehrsämter. Diese wiederum klagten, sie seien personell unterdotiert.
In Trivandrum, der Hauptstadt Keralas, führte man einen Versuch durch. Mit Hilfe der Polizei wurden auf einer vielbefahrenen Ausfallstrasse alle Fahrzeuge angehalten. Wer mit seinem Fahrzeug sichtbar Abgase erzeugen konnte, hatte bestanden und konnte weiterfahren! Auf die Abgabe des Klebers und des Ausweises wurde vorerst verzichtet, weil einerseits noch keine Messgeräte vorhanden waren und anderseits die Messlimiten und -toleranzen noch gar nicht bekannt waren. Somit wurde dieser Versuch relativ rasch eingestellt.
Ein durch die Regierung eingesetzter Ausschuss nahm sich der Angelegenheit an. Er ernannte zwei Kommissionen; die eine befasste sich mit der Beschaffung von Messgeräten und die andere hatte die Aufgabe, die Messwerte für die verschiedenen Fahrzeuge festzulegen. Da diese Aufgaben einen enormen Arbeitsaufwand erforderten, wurden je zwei Unterkommissionen ernannt und die Mitglieder nach den hier geltenden Regeln in der Presse namentlich erwähnt. Im Rahmen einer gemeinsamen Feier wurden die Kommissionen und Unterkommissionen durch den zuständigen Transportminister in ihrem Amt bestätigt. Der Chiefminister von Kerala entflammte die traditionelle Oellampe, der Polizeichef amtete als Ehrengast und eine grosse Anzahl von Abgeordneten, welche wiederum in der Presse namentlich aufgeführt wurden, gaben sich ebenfalls die Ehre.
Ein aus dem Ausland beigezogenes Expertenteam erarbeitete in ganz kurzer Zeit die notwendigen Unterlagen, gestützt auf die im Westen gemachten Erfahrungen. Aufgrund dieser Unterlagen bewilligte die Weltgesundheitsorganisation WHO einen namhaften Betrag zur Beschaffung von westlichen Secondhand-Messgeräten. Der erstmalige Einsatz dieser Geräte wurde wiederum mit einer feierlichen Eröffnung verbunden. Aus damaligen Pressenotizen kann entnommen werden, dass wiederum der Chiefminister die traditionelle Oellampe entzündete und der Transportminister die Ansprache hielt. Diesmal war der Tourismusminister als Ehrengast anwesend und durfte als erster ein Messgerät offiziell in Betrieb setzen, indem er den Stromschalter von OFF auf ON umlegte und freudestrahlend das Summen des Gerätes wahrnahm. Der Gouverneur der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie der Delegierte der finanzierenden Weltbank liessen sich entschuldigen, da sie anderweitig wichtigere Dinge zu tun hatten, was ihnen durch die Presse als ungehörige Abwesenheit angekreidet wurde. Der Ministerpräsident und die anwesenden Minister, sowie die Ehrengäste und Mitglieder der Kommissionen und der Unterkommissionen wurden wiederum gebührend und namentlich in der Presse erwähnt, diesmal zur besseren Information des Publikums zusätzlich mit ihren Funktionen.
Einige Monate nach dieser feierlichen Eröffnung konnten die ersten Messungen durchgeführt werden. Ausser den wenigen erst seit kurzem in Betrieb genommenen Personenwagen fielen alle anderen geprüften Fahrzeuge wegen zu hohen Messwerten durch. Schnell machte sich auch der Mangel an ausgebildeten Abgasmessern bemerkbar. Die bei der Prüfung durchgefallenen Fahrzeuglenker protestierten massenhaft und bestanden auf der Abgabe des Klebers und des Abgaszeugnisses. Die prüfenden Beamten nahmen somit die in Indien übliche und im Westen als schlimme Korruption bezeichnete Tradition auf, indem sie gegen ein angemessenes Trinkgeld halt einfach niedrige Messwerte auf den Abgaszeugnissen eintrugen. Da sie die normal erhobene Gebühr auch kassierten und getreulich der Staatskasse ablieferten, wurden sie vom Finanzminister an einer schlichten Feier gelobt und ausgezeichnet.
Die Messkommission stellte schnell fest, dass es mit dem damaligen Personalbestand und der ungenügenden Anzahl von Messgeräten unmöglich war, alle Fahrzeuge innerhalb der gesetzlichen Frist zu testen. Durch unsachgemässe Bedienung fielen mehr als die Hälfte der Testgeräte aus. Auf Antrag der Kommission beschloss die Regierung im Schnellverfahren, dass sämtliche Polizei-, Regierungs-, Sanitäts- und Feuerwehrfahrzeuge sowie die Lastwagen und Busse von der Abgaskontrolle ausgenommen sind. Damit hatte man die grössten Luftverschmutzer schon einmal von den Vorschriften ausgenommen und sie konnten ungehindert ihre stinkenden Abgase weiterhin in die Luft blasen.
Die übrigen Fahrzeugbesitzer sahen in diesem Vorgehen die missbräuchliche Anwendung von zweierlei Recht und kümmerten sich in der Folge nicht mehr um die Vorschrift zur alle sechs Monate durchzuführenden Abgasmessung. Die Vorschrift ging bald in Vergessenheit und heute weiss kaum einer noch davon.
Auch ich hatte mich nie um diese Vorschrift gekümmert, sie war mir nicht einmal bekannt. Da ich auch hier die vorgeschriebenen Unterhaltsservices peinlich genau in den festgelegten Intervallen durchführen lasse, war ich der Auffassung, dass die Abgasmessung in der Werkstatt durchgeführt werde.
Bis vor genau fünf Tagen! Da wurde ich auf dem Weg nach Trivandrum bei einer Kontrolle durch Beamte des Strassenverkehrsamtes angehalten und wegen der fehlenden Abgaskontrolle mit 300 Rupien ( ca. CHF 9.00) gebüsst. Ich erfuhr, dass die Reparaturwerkstätten gar keine Genehmigung zur Durchführung von Abgasmessungen und der Abgabe des Klebers und des Abgaszeugnisses haben. Nach der Belehrung sah ich ein, dass der Fehler eindeutig bei mir lag und ich beschloss, die fehlende Kontrolle sofort nachzuholen.
Somit fuhr ich flugs in die eine gute Autostunde entfernte offizielle Messstation. Ich legte den Fahrzeugausweis vor und was dann passierte, bewirkte bei mir einen Lachkrampf, welcher muskulär noch mindestens eine Woche andauerte. Eine jüngere, in einen hübschen Sari gekleidete Inderin wies einen mit einem alten Jeep vorgefahrenen Fahrzeuglenker an, das Auto neben einen kleinen Apparatekasten zu fahren. Dieser Kasten entpuppte sich nach genauerem Hinsehen als ein Messgerät mit einigen Knöpfen und nicht mehr funktionierenden Lämpchen. Die Inderin nahm ein an diesem Kasten befestigtes kleines Messgerät mit einer kaputten Digitalanzeige in die Hand und ein Helfer hielt eine komplett verrusste Messsonde an den Auspuff des Jeeps. Dann befahl die Inderin Vollgas zu geben. Der Jeepfahrer trat das Gaspedal durch und wir standen in einer stinkenden schwarzen Abgaswolke und bekamen russgeschwärzte Köpfe. Das ganze dauerte nur einen kurzen Moment, die Inderin winkte ab und schaltete ihr Gerät aus. Dann ging sie in ihr kleines Büro und stellte dem Jeepfahrer das gesetzlich vorgeschriebene Messprotokoll mit guten durchschnittlichen Werten aus und übergab ihm den Kleber. Das alles gegen eine Gebühr von 50 Rupien (ca. 1.50 Franken). Ich dachte, mich laust der Affe und konnte es nicht unterlassen, das kleine Messgerätchen etwas genauer anzuschauen. Es war zwar mit einem schnurartigen Kabel am sogenannten Messapparat angeschlossen, aber von Funktionieren keine Rede.
Bevor ich an der Reihe war, wurden noch ein Kleinwagen, ein Motorrad und zwei Motorroller "getestet"; Sonde an den Auspuff - Befehl für Vollgas - Kästchen fünf Sekunden in der Hand halten - fertig. Dann Messzeugnis ausstellen - durchschnittliche Messwerte eintragen - Kleber abgeben - Gebühr kassieren - Ende der Messung.
Bei meinem Auto natürlich das gleiche Vorgehen. Aber ich hatte noch eine zusätzliche Bitte: ich besitze eine dreirädrige Autorikscha, welche ich an meinem Wohnort als bequemes und praktisches Fortbewegungsmittel einsetze. Dieses Fahrzeug sieht aus wie eine dreirädrige Vespa, jedoch mit einem Dach, einer Frontscheibe und einer hinteren Sitzbank für drei Personen. Auch für diese Gefährte braucht es ein Abgaszeugnis. Ich hatte den Fahrzeugausweis bei mir und fragte die Inderin, ob sie mir für die Rikscha auch einen Kleber und ein Abgaszeugnis geben könnte. Sie meinte, da müsste ich aber schon das Fahrzeug vorbeibringen, damit man die Messwerte feststellen könne. Ich gab ihr zu verstehen, dass das doch von meinem Wohnort bis Trivandrum ein sehr langer Weg sei und im übrigen sei meine Rikscha sehr gepflegt und bestens gewartet. Sie nahm kurz Rücksprache mit einem anderen, untätig herumstehenden Mann, welcher offenbar ihr Vorgesetzter war. Der bat mich etwas abseits und nach längerem Hin und Her meinte er, dass man das ausnahmsweise machen könne. Zu meiner Verwunderung machte er nicht die hohle Hand für ein angemessenes Trinkgeld sondern bat mich nur, etwas zu warten, bis die anderen Kunden abgefertigt seien. Vermutlich durfte niemand zusehen, wie Abgasdokumente ohne Vorführung des Fahrzeuges zustande kommen. Ja, und auf diese Weise habe ich nun auch das Abgaszeugnis für meine Rikscha mit einem eingetragenen guten Messwert von 2.14 %. Preis: 25 Rupien = knapp 75 Rappen!
Und seither wiederholt sich das ganze alle 6 Monate.
Unglaublich, aber wahr - that's India!
Varkala, 4. April 2000
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